Angstblüte (German Edition)
Unterworfenen. Nicht mehr in die Stadt. Nicht mehr ans Telefon. Die Firma braucht ihn nicht mehr. Der Doktor aus der Schweiz ist ein Erfolg. Daß man immer noch glaubt, siegen zu können. Und sei’s durch die Niederlage.
Was tun?
Bergauf beschleunigen. Mit Kräften, die er nicht hat. Der letzte Genuß, sich zu besiegen. Endlich ist es einmal er, der sich besiegt. Dieses Gefühl, zugleich der Sieger und der Verlierer zu sein, das Leben selbst.
Oder: Eine Müdigkeit zulassen, die nicht mehr die Folge einer Tätigkeit ist. Von dieser Müdigkeit erhofft er das meiste. Und das an einem Ort, der von allen gleich weit weg ist. Unerreichbar zu sein. Und hätte doch bei Amadeus Stengl lernen können, daß, wer sich eine Alternative abverlangt, seine Seele halbiert.
Bitte bewahre ihn vor jedem ODER.
Ich wäre glücklich, wenn Du glücklich wärst . Dein triumphaler Satz! Noch triumphaler als: Wenn ich nicht mehr leben würde, müßtest Du nicht mehr lügen.
Wenn-dann-Sätze. Wenn Du ihn vor den Entweder-oder-Sätzen bewahrst, schützt er Dich vor den Wenn-dann-Sätzen.
Die Sonne sinkt. Laß die Waffen schweigen. Die Münder verschweigen. Der Februar ist fast vorbei. Deine Schneeglöckchen und Deine Krokusse fangen an. Sie übertreiben es. Wie jedes Jahr. Er meldet Dir ergebenst: Die Krokusse sehen auch in diesem Jahr aus, als seien sie zu früh dran.
Man hat Abend gegessen an verschiedenen Tischen. Das bleibt zu bedauern.
Heute hat er auf dem Heimweg gedacht: Die Bäume haben Angst vor uns. Im Februar sehen sie so aus. Da ist die Osterwaldstraße, laublos, eine Gespensterstraße.
Er hat, seit Du ihn verlassen hast, keinen Schluck Wielands Trunk zu sich genommen. Die Küche betritt er nicht.
Zu zweit muß die Zeit wohl gründlicher totzuschlagen sein als allein.
Jedesmal, wenn er die Haustüre hinter sich zumacht, bricht die Leere über ihn herein. Es ist dann, als habe er kein Gewicht mehr. Allein. Wenn Du das beabsichtigt hast, ihm seine Unwichtigkeit zu demonstrieren, dann hast Du, was Du beabsichtigt hast, erreicht.
Daß Du nicht in der Ottostraße verharrst, hat er bemerkt. Als er Dein Auto auch während der Sprechstundenzeit nicht fand, wo es immer zu finden gewesen war, ging er ins Haus und las Deine Mitteilung: Vorerst finden keine Sprechstunden mehr statt. Er dachte natürlich sofort: Das hast Du gegen ihn geschrieben. Er geht schön brav täglich in sein Geschäft. Außer Frau Lenneweit sieht ihm niemand etwas an. Du aber bist nicht mehr fähig, Deinen von Dir so geliebten Beruf auszuüben. Ja, er gibt es zu. Das hat ihn getroffen. Am liebsten hätte er sich auf die Treppe gesetzt und … Schluß jetzt. Aber daß Du diese Ehe nicht verteidigst! Du kämpfst um jede Ehe wie ums Weltheil selbst. Und diese Ehe läßt Du zerbrechen. Wenn Du kämpfen würdest, wenn Du nicht nur Affektohrfeigen austeiltest, dann könnte er auch kämpfen. Du willst wieder einmal durch Nachgeben siegen. Interessant.
Wundere Dich nicht, der Brief hört auf mit einem Traum. Er könnte sagen: Weil er diesen Traum gestern nacht geträumt habe. Stimmt nicht. Trotzdem wäre, das zu behaupten, nichts, was er eine Lüge nennen würde. Etwas zu sagen, was nicht geschehen ist, wie es gesagt wird, gilt als unwahr. Diesem Sprachgebrauch widersetzt er sich immer erfolglos. Nicht einmal bei sich selber kann er durchsetzen, daß etwas dadurch, daß er es sagt, wahr wird. Der Traum, den er Dir erzählen will, wurde irgendwann geträumt. Er hat ihn Dir nie mitgeteilt. Jetzt will er ihn Dir mitteilen, weil der Traum sich jetzt bei ihm gemeldet hat, ihn beherrscht. Kann sein, daß die Mitteilung betulicher ausfällt, daß sich Kommentarfarben einmischen, die, wenn er Dir den Traum rechtzeitig anvertraut hätte, nicht vorgekommen wären.
Ein unendlich schöner oder paradiesisch schöner Traum also. Von Anfang an. Eine von allem, was stören könnte, befreite Traumwelt. Mehr Menschen, als man auf einen Blick fassen kann. Alle beschäftigt mit Zärtlichsein. Keine Farbe, die an eine andere Farbe stößt. Nur Übergänge. Auch die Bäume, die Sträucher, die Häuser, die Brücken, die Flüsse, die Blumen, alles geht in alles über. Auch das, was man hört. Eine Musik der reinen Vollkommenheit. Hervorgebracht von keinem Instrument. Alles findet einem Mädchen zuliebe statt. Ist sie aus Tau oder Samt oder Licht? Sie ist aber auch ein Mädchen, das geht und steht und sich bückt und streckt und sogar Sprünge macht. Bei den Sprüngen ist sie länger in
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