Angstblüte (German Edition)
zusammen, bis beide, er und Frau B., einen dritten Körper bilden. Einen Körper, der, weil er nicht nur auf dem Papier existiert, allem, was geschrieben werden kann, überlegen ist.
Gelogen hat er nicht. Solange er etwas sagt oder schreibt, ist es wahr. Länger kann ohnehin nichts wahr sein.
Soweit die Mitteilung über Herrn A., Frau B. und Frau C.
Darf das nicht so sein? Wer dagegen ist, daß so etwas vorkommt, ist gegen das Leben.
Ist das nun anstößig? Was allgemein gilt und was uns einen solchen Vorgang als anstößig empfinden läßt, ist selber anstößig. Er auf jeden Fall muß, wenn er nach dem lebt, was allgemein gilt, wie unter Betäubung leben. Er muß alle seine Erwartungen irrsinnig nennen.
Er ist voll von Erwartungen, von denen er längst wissen könnte, daß ihnen kein bißchen Wirklichkeit entsprechen darf. Und er lebt von diesen Erwartungen. Er hofft natürlich, bei allen anderen sei das auch so.
Nehmen wir seinen beruflichen Alltag: Wenn er eine geschäftliche Verabredung mit einer Frau hatte, hielt er es jedesmal für mehr als eine geschäftliche Verabredung. Er fuhr überallhin mit abenteuerlichen Geschlechtsphantasien. Er hätte sonst nicht so oft und so weit fahren können. Die Mühen der Bewegung, der Organisation, der Dauer, der Geduld – das wäre unerträglich gewesen, wenn er das Ziel nicht hätte mit einer Frau ausstatten können. Dann stellte sich gewöhnlich heraus, daß es die Frau nicht gab. Er verkraftete diese Abstürze, er war sie ja gewöhnt. Die Rückfahrt war dann die unverminderte Plackerei.
Alle, die er getroffen hat, haben nichts betrieben als die Optimierung des Geschlechtsverkehrs, also glaubt er sich berechtigt, das auch jedem, den er neu kennenlernt, unterstellen zu dürfen. Alle hampeln herum in einer angsterregenden Monstrositätskultur und sind mit nichts beschäftigt als mit der Verfeinerung des Sinnlosen. Die Energie zu dieser Verfeinerung entspringt ausschließlich dem nie und nirgends an ein Ziel gelangenden Bedürfnis nach mehr Geschlechtsverkehr.
Es ist inzwischen deutlich, daß jeder Jüngere ihn für sehr alt hält. Er spürt direkt, wie der Jüngere in jedem Satz an eine Abgeklärtheit und Sterbebereitschaft appelliert, die er nicht hat. Er ist alt, das stimmt. Aber er hat keine anderen Wünsche und Absichten als jemand, der zwanzig Jahre jünger ist. Der einzige Unterschied: Er muß so tun, als habe er diese Wünsche und Absichten nicht. Als sei er darüber hinaus. Deshalb ist das Altern eine Heuchelei vor Jüngeren.
Sein Bein! Alle Wörter, die sein Bein nicht kennen und nicht fassen, sind Fremdwörter, und Fremdwörter sind dazu da, die Wirklichkeit schönzulügen. Ohne Fremdwörter wäre das Leben Schrecken pur. Er wäre nicht imstande, irgend jemandem zu verraten, wie sein Bein aussieht. Weder seinem größten Feind noch seinem engsten Freund. Er ist mit seinem Bein allein in der Welt.
Was er hier versucht, ist kein Versuch, Dich als Therapeutin zu gewinnen, liebe Helen. Er wird nicht fertig mit dem, was Joni ihm hinterließ. Beneidenswert, wem der Abscheu die Ohren verschließt. Er gesteht Dir, denk bitte: Dir gesteht er, daß Jonis Sätze ihn verwüstet haben. Da, wo diese Sätze hingetroffen haben, wächst nichts mehr als die Sehnsucht nach solchen Sätzen. Reicht’s jetzt?
Einerseits verschweigt er das Wichtigste, wenn er verschweigt, daß man ihr Geschlecht einen Tempel der Nässe und der engsten Zugänglichkeit nennen müsse. Andererseits kann er nicht davon absehen, daß er einfach einer der Millionen Männer ist, die sich ein Vergnügen verschaffen und zugeben müssen, daß man durch nichts so gemein wird wie durch Geschlechtsverkehr. Noch einmal andererseits: Dem Tod wird das Wort entzogen.
Sie taten es miteinander, nicht füreinander. Sie taten es auf keine besondere Weise. Es mußte keiner dem anderen extra behilflich sein. Wenn sie es miteinander taten, nahmen sie gewissermaßen von selber zu. Wie zwei Flüsse, die anschwellen, dann gemeinsam über die Ufer treten und sich vereinigen. Beide hatten es anders erlebt gehabt.
Allerdings: Wenn Joni ihm so viel verschwieg, wie er zum Beispiel Dir verschwieg – und warum sollte sie ihm nicht genausoviel verschweigen! –, dann saß sie ihm gegenüber und dachte daran, wie sie zwölf Stunden vorher von ihrem Liebhaber gefickt worden war.
Seine Naivität: Nur wenn sie völlig offen wäre, wäre er gleich alt. Einem, der so alt ist wie sie, würde sie ja alles ins Gesicht sagen
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