AnidA - Trilogie (komplett)
gescheut, Kind?« Catrionas Miene und Stimme waren sanft und mitfühlend.
»Ich habe gehofft, dass er es sich noch einmal überlegt. Mein Vater ist aufbrausend und schnell zornig, aber er ist nicht nachtragend. Ich dachte, es täte ihm irgendwann leid und er würde mir sagen, dass er es nicht so gemeint hat.« Sie zwang sich zu einem Lächeln. »Natürlich war das dumm von mir, Catriona. Aber es hat mir wirklich wehgetan, so plötzlich keine Familie mehr zu haben.«
Die alte Frau legte leicht ihre schmalen Finger auf Idas große Hand. »Tut es denn immer noch weh?«
Ida wollte verneinen, aber sie zögerte unter Catrionas wachem Blick. »Ein wenig«, gab sie zu. »Es ist nicht mehr so schlimm, weil ich wirklich hier meine Familie gefunden habe. Aber trotzdem schmerzt es immer noch, wie eine alte Narbe, an die ich immer erinnert werde, wenn das Wetter umschlägt.«
Catriona nickte und ließ ihre Hand auf Idas Hand ruhen. »Ich werde deinen Schwur abnehmen«, sagte sie endlich. »Aber du musst zuvor noch einmal zurück zu deiner Familie und dich von ihnen verabschieden. Das hast du damals nicht getan. Es wird dich immer ein wenig dort festhalten und dich bedrücken.«
Ida schüttelte den Kopf. »Aber nein«, wehrte sie ab. »Es ist wirklich nicht nötig, dass ich zurückgehe. Es würde nichts nützen.«
Catriona lächelte nicht. »Das war keine Bitte, mein Kind, sondern ein Befehl deiner Gildenmeisterin«, sagte sie kühl. »Außerdem wünsche ich, dass du dir die Halskette deiner Mutter zurückholst.«
Ida fuhr auf. »Das ist unmöglich«, sagte sie heftig. »Wie soll ich Simon nach all den Jahren wieder finden? Catriona, das war die dumme Schwärmerei eines kleinen Mädchens. Es ist nicht wichtig, wirklich!«
»Es ist die Kette deiner Mutter und eine ungelöste Bindung«, erwiderte Catriona hart. »Du wirst den Schwur nicht ablegen, solange du noch ungelöste Bindungen mit dir herumschleppst. Es sind Fesseln, die dich an dein altes Selbst ketten, Ida, sieh das doch ein. Du wirst erst dann wirklich frei und an Leib und Seele gesundet sein, wenn du diese verrotteten alten Fesseln abgeworfen hast. Danach steht es dir frei, mit all diesen Menschen neue Bindungen einzugehen, die allerdings auf anderen Regeln und Grundlagen beruhen. Verstehst du das?« Ida nickte niedergeschlagen.
Die Gildenmeisterin lächelte schwach. »Komm, Ida, Kopf hoch. Ich erlasse dir den Rest deines Dienstjahres, das hast du in den letzten zehn Jahren mehr als reichlich abgeleistet. Geh, löse deine Fesseln. Und dann komm zurück und mach einer alten Frau die Freude, dir den Schwur abnehmen zu dürfen.« Sie erhob sich, und Ida beeilte sich aufzustehen. Catriona stellte sich auf die Zehen und küsste sie rechts und links auf die Wangen. Dann schob sie sie zur Tür hinaus und schloss sie lautlos hinter ihr.
Ida blieb einige Sekunden vor der Tür stehen und versuchte, den Aufruhr in ihrem Inneren zu beruhigen. Anscheinend war sie gerade sehr sanft und sehr bestimmt vor die Tür des Mutterhauses gesetzt worden. Ordne deine Angelegenheiten, Ida, dann – und nur dann – darfst du wiederkommen. Ida entschied, dass Catriona damit nicht gemeint haben konnte, dass sie unverzüglich aufbrach. Sie wollte erst noch mit Mellis reden und, falls sie ansprechbar war, auch mit Dorkas.
Nach der Unterredung mit ihrer Stellvertreterin Greet, die sie umarmte und ihr eine glückliche Reise wünschte, machte sie einen letzten Rundgang durch die Ställe und verabschiedete sich von den Tieren. Ida hatte diese Arbeit wirklich geliebt, das wurde ihr jetzt erst richtig klar. Sie tätschelte die breite Stirn der alten Butterblume, die nicht mit den anderen auf der Weide war, weil die Heilerin sie nach einer Entzündung ihres Euters noch ein wenig unter Beobachtung halten wollte, und sah sich noch einmal Abschied nehmend um.
»Was ist denn mit dir los?«, fragte die brummige Stimme von Dorkas. »Du ziehst ein Gesicht, als hätte dir jemand einen Frosch in die Suppe gesetzt.«
Ida schloss die Stalltür hinter sich und sah die Freundin mit hochgezogenen Brauen an. »Und du siehst aus, als hätte jemand mit dir den Hof aufgewischt.«
Dorkas machte eine wegwerfende Handbewegung. »Das ist nicht der erste Kater, den ich morgens auf den Schultern trage, keine Sorge. Gib mir ein anständiges Frühstück, und alles ist in Ordnung.«
» Früh ist gut«, murmelte Ida und begleitete Dorkas zur Küche hinüber. Die Köchin ließ sich wirklich Brot und Schinken abschwatzen,
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