AnidA - Trilogie (komplett)
also wirklich dorthin zurück?«, fragte Ida Dorkas, als sie nach dem gemeinsamen Abendessen über den Hof schlenderten. Dorkas hatte vorgeschlagen, in Kassies Schenke einen Schlummertrunk zu nehmen. Dorkas wartete mit ihrer Antwort, bis sie das Hoftor passiert hatten und auf der Gasse standen.
»Ja, ich denke schon«, sagte sie zögernd. Mellis gab einen kleinen, knurrenden Laut von sich, der ihr Unbehagen deutlicher ausdrückte, als ein Fluch es getan hatte. »Kommt, lasst uns erst einmal etwas trinken«, lenkte Dorkas ab.
Sie gingen wortlos nebeneinander her durch die dämmrigen Gassen des Hafenviertels. Vom Meer her wehte eine salzige Brise, die angenehme Kühle nach einem heißen Tag mit sich brachte. Auf den engen Straßen herrschte mehr Betrieb als sonst, auch die anderen Bewohnerinnen des Viertels schienen es vorzuziehen, der Schwüle ihrer Behausungen zu entfliehen. Kassies Schenke lag direkt am unteren Hafenbecken. Die breite Tür stand einladend offen, aber der Schankraum war nahezu leer. Kassies Gäste drängten sich um die wenigen Tische, die sie auf dem Gehweg aufgestellt hatte, und saßen in kleinen Gruppen auf der niedrigen Mauer, die das Hafenbecken von der Straße trennte.
Dorkas erbot sich, ihre Getränke zu holen. Ida und Mellis entdeckten ein ruhiges Plätzchen etwas weiter die Gasse hinunter und hockten sich dort auf die Mauer.
»Du bist nicht glücklich über Dorkas' Pläne, hab ich Recht?«, fragte Ida. Mellis zupfte an den Haaren in ihrem Schweif herum, wie sie es immer tat, wenn sie sich in ihrer Haut nicht recht wohl fühlte.
»Nein, das bin ich nicht«, sagte sie schließlich. »Der Nebelhort ist ein gefährlicher Platz, und Dorkas ist nicht jünger geworden, wie du sicher bemerkt hast. Sie lässt sich bei dieser Sache zu sehr von ihren Gefühlen leiten, und das ist gar nicht gut.«
»Wirst du mit ihr gehen?«, fragte Ida eilig, weil sie Dorkas mit ihren Getränken nahen sah. Mellis presste die Lippen zusammen und schüttelte dann nur kurz den Kopf. Ida wusste nicht, ob sie damit die Frage beantwortete oder nur andeuten wollte, dass sie jetzt nicht darüber sprechen konnte.
»Die Damen hatten Wein bestellt?«, flachste Dorkas und reichte die leeren Becher herum. Dann füllte sie sie aus der Kanne, die sie in der anderen Hand gehalten hatte, und schwang sich auf die Mauer. »Was ist los, warum sitzt ihr an einem so schönen Abend da und blast Trübsal?«, fragte sie neckend. Ida trank und musterte ihre Freundin. Zäh und knorrig wie eine alte Baumwurzel saß sie zwischen ihnen und ließ die stämmigen Beine in ihren abgetragenen hellen Hosen baumeln. An den Füßen trug sie dem warmen Wetter angemessen leichte Stoffschuhe, und das geschlitzte Obergewand war aus weicher, gelblich schimmernder Fischseide.
Ida streifte mit ihren Fingern leicht über Dorkas' Arm. »Ich musste einfach mal fühlen«, beantwortete sie ihren verwunderten Blick. »Hast du das Hemd von dort?«
Dorkas nickte und schob die Ärmel hoch. Ihre kräftigen Arme hoben sich dunkel von dem hellen Stoff ab. »Sie haben großartige Weberinnen im Nebelhort. Alle aus der untersten Kaste. Die werden nicht einmal mehr aus dem Weg gescheucht, wenn ein Höherer vorbei will, sondern direkt niedergepeitscht, falls sie nicht schnell genug sind.«
Ida zuckte vor der Bitterkeit in Dorkas' Stimme zurück. Mellis warf mir einen schnellen Seitenblick zu. ›Siehst du, was ich meine?‹, schien sie zu fragen. Dorkas trank ihren Becher aus und schenkte sich nach. Sie sah fragend zu ihren Freundinnen hin, aber die beiden hatten ihre Becher noch nicht zur Hälfte geleert. Dorkas hob den Becher an den Mund und trank.
»Dorkas«, sagte Mellis leise mahnend.
»Halt dich raus, Mellis«, fuhr Dorkas sie herb an. Mellis' Schweif zuckte, aber sie schwieg.
»He«, sagte Ida laut. »Kinder, wir haben uns so lange nicht gesehen. Lasst uns doch einfach feiern, ja?« Dorkas knurrte nur, aber ihr grimmiges Gesicht entspannte sich. Ida warf Mellis einen flehenden Blick zu, versuchte, ihr zu signalisieren, dass sie später darüber reden würden. Mellis senkte zustimmend die Lider und hielt Dorkas versöhnlich ihren Becher hin.
Die drei stießen an und begannen, alte Erinnerungen aufzufrischen. Als sie spät in der Nacht nach Hause schlenderten, die schwankende Dorkas in der Mitte, war die Verstimmung des frühen Abends beinahe vergessen. Mellis und Ida brachten Dorkas zu Bett und standen noch eine Weile in einträchtigem Schweigen vor der Tür
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