AnidA - Trilogie (komplett)
zu werden, und wollte sich langsam aus dem Geschäft zurückziehen. Eines Morgens, es war gerade der erste Schnee gefallen, ging sie hinaus, um Holz zu holen. Sie kam nicht wieder. Ich ging ihr nach, weil ich dachte, sie wäre vielleicht gestürzt und hätte sich etwas getan. Und da lag sie neben der Haustür, ganz friedlich. Sie muss einfach umgefallen sein.« Die leise Stimme der jungen Frau verstummte. Sie wischte sich mit dem Ärmel über die Augen. Ida nickte nur stumm.
»Ja, dann gehe ich jetzt wohl besser wieder«, sagte sie schwerfällig und erhob sich. Nanna sah sie an und biss sich auf die Unterlippe. Dann schlug sie mit der flachen Hand auf den Tisch, dass es klatschte, und rief: »Jetzt weiß ich es: Ihr seid Adina, richtig? Die Tochter von Lord Joris.«
»Anida«, korrigierte Ida. »Entschuldigt, ich hatte mich nicht vorgestellt.«
»Ich habe etwas für Euch«, sagte Nanna eifrig. »Wartet, ich muss es nur eben holen.« Sie ging ins Nebenzimmer. Ida blieb unschlüssig mitten in der Küche stehen. Der Wasserkessel summte, und sie ging hinüber, um das kochende Wasser auf die bereitstehende Teekanne zu gießen.
»Danke«, sagte Nanna hinter ihr. Sie hielt ihr ein kleines, in Papier gewickeltes Päckchen hin. »Das hier hat Marisa mir gegeben. Sie sagte, Ihr würdet bestimmt eines Tages wieder hierher kommen, und falls sie dann nicht da sein sollte, müsste ich darüber Bescheid wissen und es Euch geben.« Ida nahm es entgegen und sah Nanna fragend an. Die junge Hebamme nahm zwei Becher vom Bord. »Seht es Euch in Ruhe an. Hier ist Euer Tee.«
Ida drehte das leichte Päckchen in der Hand. Dann wickelte sie die sorgsam darumgeschlungene und verknotete Schnur ab und schlug das Papier auseinander. Zwei schmale Ringe und ein zusammengefalteter Briefbogen fielen auf den Tisch. Nanna hatte sich taktvoll abgewandt und sah aus dem Fenster. Ida griff nach den Ringen und betrachtete sie genauer. Sie waren aus feinem verschlungenem Silber. Jeden der beiden identischen Ringe schmückte ein verschnörkeltes, wie eine Blüte geformtes »A«. Ida legte sie beiseite und widmete sich dem Brief.
»Mein liebes Kind«, begann er in der etwas zittrigen Schrift einer alten Hand. »Ich weiß nicht, welche von euch beiden zuerst hierher kommen wird, um diese Ringe abzuholen. Aber ich denke, dass du es sein wirst, Ida, mein Liebes. Wenn du das hier liest, bin ich wahrscheinlich nicht mehr auf dieser Welt. Trauere nicht um mich, ich habe ein langes und glückliches Leben gehabt, und ich wünsche dir und deiner Schwester von ganzem Herzen, dass auch ihr das einmal von euch sagen könnt.
Die beiden Ringe wurden mir bei eurer Geburt von eurer Großmutter gegeben, mit der Bitte, sie euch auszuhändigen, wenn ihr erwachsen seid.
Mögen sie euch immer an eure gute Großmutter erinnern und ein wenig auch an mich,
Eure euch liebende Marisa.«
Ida sah von dem Brief auf und trank einen Schluck von ihrem Tee. »Seltsam«, sagte sie zu sich.
»Was ist seltsam?«, fragte die zurückhaltende Nanna und drehte sich zu ihr um. Ida sah sie grübelnd an.
»Was hat Marisa gesagt, wem Ihr dieses Päckchen geben sollt?«, fragte sie. Die junge Hebamme runzelte verwirrt die Stirn.
»Na, Euch. Oder Eurer Schwester, je nachdem, wen ich von Euch zuerst sehen würde«, erwiderte sie ein wenig eingeschnappt. »Warum? Habe ich etwas falsch gemacht?«
»Nein, nein«, beeilte sich Ida, ihr zu versichern. »Es ist alles ganz in Ordnung. Ich bin Euch sehr dankbar. Aber ich habe mich gewundert, dass Amali in all den Jahren nicht ein einziges Mal hier gewesen sein soll. Süßer Iovve, Marisa hat doch ihre Kinder entbunden – sie hätte ihr die Ringe doch schon tausendmal geben können!«
»Nein«, sagte Nanna geduldig und ein wenig erstaunt. »Natürlich war Amali oft hier, auch nach Marisas Tod. Nein, ich sollte das Päckchen ausdrücklich Euch geben oder Eurer Zwillingsschwester, Adina.«
Ida starrte sie an, als wären ihr plötzlich Flügel gewachsen. »Da müsst Ihr etwas falsch verstanden haben, Nanna. Ich habe keine Zwillingsschwester. Amali ist drei Jahre älter als ich.«
Nanna hob die Schultern und entschied sich augenscheinlich dafür, der großen Frau mit den unschicklich kurz geschnittenen Haaren nicht weiter zu widersprechen. »Wie Ihr meint. Hauptsache ist, Ihr habt endlich Euer Eigentum, nicht wahr?«
Ida nickte unzufrieden und erhob sich. »Danke für den Tee«, sagte sie. »Ich mache mich jetzt lieber auf den Weg, ehe es ganz
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