Der Prinz der Skorpione: Roman - Der Schattenprinz 3 (German Edition)
Prolog
Ein scharfer Wind trieb Schnee über die Passstraße, brach sich an hohen Festungsmauern und strich um die aufgespießten Köpfe, die in einer langen Reihe über die Zinnen hinwegschauten; weiter unten auf dem schmalen Pass zerrte die Böe an den Mänteln einiger Männer, die ein gutes Stück unterhalb der Festung von ihren Pferden gestiegen waren. Der Schnee wirbelte um ihre pelzverbrämten Umhänge, wurde den Hang hinab zu einem Bach getrieben und sammelte sich auf den erstarrten Gesichtszügen eines toten Soldaten, der sich an der steilen Böschung ins gefrorene Gras krallte. Vier gefiederte Pfeile steckten in seinem Rücken. Es sah aus, als wollte er sich auch im Tod noch den Hang hinaufziehen, vielleicht bis zu jener schmalen Passstraße, die von der Festung nach Süden und aus dem Paramar herausführte.
Padischah Akkabal at Hassat, der Große Skorpion, schlug seinen Umhang zurück, kratzte sich am Bart und beugte sich hinab zu dem Toten. »S ieh genau hin, Alamaq, mein Sohn, siehst du das?«
Der junge Prinz schüttelte den Kopf. »W as meinst du, Vater?«
»S ein Gesicht. Die nackte Angst. Dieser Mann wusste, dass er sterben würde, noch bevor er vom ersten Pfeil getroffen wurde. Er ist weggelaufen, aber du kannst nicht davonlaufen, wenn der Tod dich in sein Buch eingetragen hat. Der da hat seine Kameraden im Stich gelassen und versucht, sich zu retten. Aber Angst, mein Sohn, macht dumm. Er hatte gewiss nicht viele Möglichkeiten, seinem Schicksal zu entkommen, aber er hat sich für die schlechteste entschieden. Deshalb solltest du dich niemals von Angst beherrschen lassen, Alamaq. Sie ist ein schlechter Ratgeber.«
»J a, Vater.«
Wieder kratzte sich der Padischah von Oramar am Kinn. »E in dummer Mann. Ein Feigling noch dazu, aber immerhin kein Verräter.«
Der junge Prinz nickte eifrig, und der Große Skorpion lächelte über seinen Eifer. Er richtete sich auf und blickte hinab in das schmale Bachbett, das sich etliche Klafter unterhalb des Passes dahinzog. Im eisigen Wasser waren Männer dabei, Gefallene auszuplündern.
»S ind das auch sicher alle, Algahil?«, fragte der Padischah.
»E s sind alle, Vater. Meine Leute haben ganze Arbeit geleistet«, antwortete der Prinz, ein Mann jenseits der vierzig. Er war in einen besonders üppig mit Pelz besetzten Umhang gehüllt und schien dennoch zu frieren.
»E s war klug von dir, mein Sohn, dass du einige Männer über die Berge geschickt hast, bevor wir uns der Festung näherten.« Er wandte sich wieder an den Jüngeren: »U msicht zeichnet den klugen Heerführer aus, Alamaq. Wäre nur einer der Soldaten aus diesen Bergen nach Süden entkommen, nach Atgath oder gar Felisan, hätte das all meine Pläne zunichtegemacht. Aber dein Bruder Algahil hat es verhindert. Und dabei wollte er erst selbst nicht glauben, dass seine Krieger diese schroffen Berge überwinden können.«
»E s sind auch nicht alle hinübergekommen«, merkte Algahil trocken an.
»N un, ihr Opfer hat sich gelohnt, oder nicht?«, meinte der Padischah. »W ir werden wie dieser eisige Wind aus dem Norden über den Seebund herfallen, und seine Fürsten werden es erst merken, wenn wir schon mitten in Haretien stehen. Sie ahnen es noch nicht einmal, weil sie sich sicher fühlen, denn ihre Festung hier oben, sie ist doch nahezu uneinnehmbar und versperrt den einzigen Pass. Ja, ich behaupte, unsere zehntausend Krieger hätten sie nicht erstürmen können, obwohl nicht viel mehr als hundert Mann ihre Mauern verteidigten.«
»U nd ich war es, der sie dir erobert hat, Vater«, warf ein breitschultriger Mann ein, der am Wegesrand stand und voller Verachtung auf die Männer blickte, die unten im Bachbett die Toten plünderten.
»I ch habe es nicht vergessen, Weszen, mein Sohn«, sagte der Padischah. »U nd ich werde auch nicht vergessen, dass es uns keinen Tropfen Blut gekostet hat. Für ein paar tausend Stücke Gold hat dieser Kommandant seine Festung, seine Kameraden und letztendlich seine Heimat verkauft. Manchmal ist eben Gold die beste Waffe, Alamaq«, erklärte er dem jüngsten der Erbprinzen.
»V or allem, wenn man es wiederbekommt, kleiner Bruder«, warf Prinz Weszen grinsend ein.
Der Padischah runzelte missbilligend die Stirn. »E s muss die Ausnahme bleiben, dass man sein Wort nicht hält, Alamaq. Das musst du stets bedenken.«
»H ättest du denn diese Verräter leben lassen, Vater?«, fragte der junge Prinz.
»J a, denn ich bin der Padischah, und mein Wort ist in Gold nicht
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