Animal Tropical
Dachgeschoss. Was mache ich? Ich habe keinen Rum. Ich lege das Requiem von Mozart auf. Introitos: Requiem aeternam. Ich höre noch etwas weiter zu. Kyrie eleison. Dies irae. Nein, verdammt noch mal! Das ist zu viel! Es erdrückt mich. Ich nehme die Platte runter. Lege Céline Dion auf. Höre ein Weilchen zu. Es ist das genaue Gegenteil. Ich stelle die Anlage aus. Gehe hinaus auf die Dachterrasse. Das Meer ist schwarz, und es weht ein kalter Wind von Nordosten. Ich bin unruhig. Ich habe nichts zu tun. Nichts, worüber ich nachdenken könnte. Die Einsamkeit und die Unruhe und das Nichtwissen. Das Nichtverstehen. Erneut lege ich Mozart auf. Rex Tremendae. Confutatis Maledictis.
Es klopft an der Tür. Ich öffne. Da steht ein merkwürdiger Typ, sehr dünn, mit Bart und langem Haar und einer runden, dunklen Brille à la John Lennon. Völlig schwarz gekleidet. Er spricht mit tiefer Stimme, ganz professionell, und sagt:
»Pedro Juan?«
»Ja.«
»Ich bin Baltasar Fontana, Filmregisseur.«
»Aha … kommen Sie rein.«
Dem Akzent nach könnte er Spanier sein. Es müsste eigentlich Baltasar Fuentes heißen. Wer weiß, warum er den italienischen Nachnamen hat. Er vergeudet keine Zeit. Er setzt sich und feuert eine Salve auf mich ab:
»Ich habe dein Buch gelesen, und es hat mir gefallen. Es war, als sähe ich einen Film, und ich glaube, wir können zusammenarbeiten. Gerade habe ich hier einen Kurzfilm gedreht.«
Ich sehe ihn an, und während ich ihm zuhöre, denke ich: »Es ist wirklich zum Kotzen, wenn man mitten im Zentrum wohnt. Was, zum Teufel, will der Kerl?« Baltasar redet weiter, mit Mozart im Hintergrund.
»Ich will ein Roadmovie machen. Ein junger Typ von sechzehn. Er kauft sich ein Auto und reist quer durch Kuba. Von Havanna nach Santiago. Der Typ ist sehr rebellisch. Er hat Konflikte mit den Eltern. Und kehrt triumphierend nach Havanna zurück. Das Auto muss ein Klassiker sein; ein Chevrolet aus den Fünfzigern, beispielsweise. Am Ende triumphiert der Kerl. Es muss ein Happy End geben.«
»Und was noch?«
»Nur das. Ein Roadmovie.«
»Nein, nein. Ich glaube nicht.«
»Denk darüber nach. Dein Buch hat mir gefallen.«
»Willst du einen Kaffee?«
»He?«
»Willst du einen Kaffee?«
»Wasser, bitte.«
Ich hole ihm ein Glas Wasser und hülle mich in Schweigen. Ich habe nichts zu sagen. Warte, dass er das Wasser trinkt und geht. Aber nein. Das Wasser stärkt ihn, und er wird gesprächig. Er erzählt mir das ganze Drehbuch von dem Film, den er gerade in Kuba abgedreht hat. Er wird gerade geschnitten. Es ist die Geschichte einer sehr hübschen Mulattin, die eine Santera ist und in einem herrlichen Haus am Meer wohnt, an einem tropischen Strand, und in ihren Träumen Visionen von Festungen aus dem Mittelalter und den Kreuzzügen hat. Daraufhin begibt sie sich in jene Zeit und hat eine Romanze mit einem fahrenden Ritter. Zum Schluss kehrt sie mit dem Ritter aus dem Traum zurück, der sich in einen modernen Mann verwandelt, und am Ende spazieren die beiden vor der untergehenden Sonne über den tropischen Strand. Baltasar schließt mit den Worten: »Es ist ein herrlicher Film. Wunderschön.«
»Du hättest ihn auch in Hawaii drehen können.«
»Hier ist es billig. Sehr billig.«
»Aha. Und fallen dir viele solcher Drehbücher ein?«
»Es ist schwierig. Gute Drehbücher zu finden ist schwierig.«
»Würdest du gern ein paar meiner Geschichten adaptieren?«
»Nein, nein. Zu viel Sex.«
»Die Menschen sind überall gleich. Sex ist was Normales.«
»Ja, das stimmt. Ich will dir etwas gestehen: Ich lebe in Madrid, und als ich dein Buch las, habe ich ein Experiment gemacht. Ich schaltete eine Anzeige. In einer nationalen Tageszeitung mit hoher Auflage. Ich buchte für drei aufeinander folgende Tage. In der Anzeige stand: ›Alte Frau, 62. Ich könnte deine Großmutter sein. Ich werde dich zu Höhepunkten bringen, von denen du nicht einmal träumst. Zehntausend komplett. Rosa Maria.‹ Und die Telefonnummer. Ich hinterließ eine Ansage auf dem Anrufbeantworter mit der Stimme von Rosa Maria. Innerhalb einer Woche bekam das Großmütterchen dreiundvierzig Aufträge, die vom Anrufbeantworter aufgenommen wurden. Weitere achtzehn legten auf, ohne eine Nachricht zu hinterlassen, als sie die Tonbandstimme hörten.«
»Aus dem Stoff könntest du einen Film machen, mit dem Titel: Das erotische Mütterchen.«
»Nein. Das wäre pornografisch. Ich bin Künstler. Ich will ein Roadmovie in Kuba drehen. Und ich möchte,
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