Anna im blutroten Kleid: Roman (German Edition)
ausdruckslos zu Boden. Die Verletzung am Arm ist größer geworden, und sie liegt in einer öligen Lache von einem halben Meter Durchmesser. Oben erkenne ich das Sofa, das er hinaufgeworfen hat, und zwei Beine, die darunter herausragen. Im Mund schmecke ich mein eigenes Blut. Es fällt mir schwer zu atmen.
Dann taucht aus dem Nichts eine Amazone auf. Carmel ist die Treppe hinuntergesprungen und stößt einen Schrei aus. Der Obeah-Mann dreht sich gerade rechtzeitig um, damit ihn der Aluminiumschläger mitten im Gesicht treffen kann. Bei ihm richtet er mehr Schaden an als bei Anna, denn Carmel ist erheblich wütender. Der Hieb zwingt ihn auf die Knie. Sie schlägt immer wieder zu. So viel zu der Ballkönigin, die zu nichts nütze ist.
Diese Gelegenheit lasse ich mir nicht entgehen. Ich steche ihm den Athame ins Bein, und er heult auf, kann aber einen Arm ausstrecken und Carmels Fuß festhalten. Ein Schmatzen und Knacken ist zu hören, und nun begreife ich, wie er so große Bissen aus den
Opfern herausreißen konnte. Er hat seinen Unterkiefer ausgehakt und beißt Carmel in den Oberschenkel.
»Carmel!«, ruft Thomas. Er humpelt die Treppe herunter, wird sie jedoch nicht rechtzeitig erreichen, um dafür zu sorgen, dass ihr Bein unbeschädigt bleibt. Deshalb werfe ich mich auf den Obeah-Mann und jage ihm den Dolch in die Wange. Dabei schwöre ich mir, ihm den ganzen Kiefer abzuschneiden.
Carmel kreischt und hält sich an Thomas fest, der sie von dem Krokodil wegziehen will. Ich drehe das Messer in seinem Mund herum und hoffe, dass ich dabei nicht Carmel verletze. Mit einem Schmatzen lässt er sie los. Das ganze Haus erbebt unter seinem Zorn.
Nur, dass es nicht sein Zorn ist. Dies ist nicht sein Haus, und er wird schwächer. Ich habe ihn an einigen Stellen aufgeschlitzt, und nun entsteht ein schmutziges Handgemenge. Er hat mich gerade zu Boden gedrückt, als Thomas Carmel beiseitezieht, und bemerkt nicht, was ich hinter ihm sehe. Dort schwebt jetzt ein tropfendes, blutiges Kleid.
Ich wünschte, er hätte Augen, in denen ich die Überraschung erkennen könnte, als sie ihn von hinten packt und ihn gegen das Geländer schleudert, dass es nur so kracht. Meine Anna hat sich aus der Blutlache erhoben, sie ist mit schlängelndem Haar und schwarzen Adern bereit zu kämpfen. Die Wunde am Unterarm blutet immer noch. Richtig gut geht es ihr nicht.
Auf der Treppe kommt der Obeah-Mann langsam wieder hoch. Er klopft sich den Staub ab und fletscht die Zähne. Ich verstehe es nicht. Die Schnittwunden in
der Seite und im Gesicht und die Verletzung am Bein bluten nicht mehr.
»Glaubst du wirklich, du könntest mich mit meiner eigenen Waffe töten?«, fragt er.
Ich blicke zu Thomas, der seine Jacke ausgezogen und um Carmels Bein gewickelt hat. Wenn ich ihn mit dem Athame nicht erledigen kann, weiß ich nicht mehr weiter. Es gibt zwar noch andere Möglichkeiten, einen Geist auszuschalten, aber niemand hier kennt sie. Und ich kann mich kaum noch rühren. Meine Brust fühlt sich an wie ein Bündel loser Zweige.
»Seit heute Abend ist es nicht mehr dein Messer«, widerspricht Anna. Sie sieht über die Schulter zu mir und lächelt leicht. »Ich werde es ihm zurückgeben.«
»Anna«, beginne ich, aber eigentlich weiß ich nicht, was ich sagen will. Wir alle sehen zu, wie sie die Fäuste hebt und auf die Bodenbretter einschlägt. Die Holzsplitter fliegen in alle Richtungen und hoch bis zur Decke. Ich habe keine Ahnung, was sie vorhat.
Dann bemerke ich das weiche, rote Glühen wie von einem sterbenden Lagerfeuer.
Anna wirkt zunächst überrascht, dann erfreut und erleichtert. Sie hat vorher nicht gewusst, ob es funktionieren würde. Sie wusste nicht, ob überhaupt etwas geschehen würde, wenn sie das Loch im Boden öffnet. Doch jetzt ist es vollbracht, und sie bleckt die Zähne und krümmt die Finger.
Der Obeah-Mann faucht, als sie sich ihm nähert. Sie ist schwach, aber trotzdem ist niemand ihr ebenbürtig. Sie schlagen aufeinander ein. Anna dreht ihm
den Kopf herum, doch er dreht ihn einfach mit einem Knacken zurück.
Ich muss ihr helfen. Das Stechen meiner gebrochenen Knochen, die sich in meine Lungen krallen, darf mich nicht aufhalten. Ich rolle mich herum, bis ich auf dem Bauch liege. Dann setze ich den Athame wie einen Eispickel ein und ziehe mich über den Boden.
Als das Haus erbebt, stöhnen tausend Bretter und verrostete Nägel in einem unharmonischen Chor. Dann höre ich die Geräusche, die entstehen, als die Kämpfenden
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