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Anna Karenina

Anna Karenina

Titel: Anna Karenina Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lew Tolstoi
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meinerseits
    will doch zu ihm gehen.«
    »Wenn du dazu Lust hast, so gehe hin; aber raten kann ich dir nicht dazu«, erwiderte Sergei Iwanowitsch. »Das
    heißt, für mich selbst habe ich dabei keine Besorgnis; er wird dich nicht mit mir entzweien; aber in deinem
    Interesse möchte ich dir raten, lieber nicht hinzugehen. Zu helfen ist ihm nicht. Handle jedoch, wie du
    willst.«
    »Vielleicht ist ihm wirklich nicht zu helfen; aber ich fühle, und ganz besonders in diesem Augenblicke – aber
    das ist eine andere Sache –, ich fühle, daß ich sonst nicht ruhig sein kann.«
    »Nun, dafür habe ich kein rechtes Verständnis«, sagte Sergei Iwanowitsch. »Eines aber weiß ich«, fügte er hinzu,
    »es ist dies für uns eine Lehre in der Demut. Ich habe über das, was man Gemeinheit nennt, anders und nachsichtiger
    zu urteilen angefangen, seitdem unser Bruder Nikolai das geworden ist, was er jetzt ist. Du weißt, was er getan
    hat.«
    »Ach, es ist schrecklich, ganz schrecklich!« seufzte Ljewin.
    Nachdem Ljewin sich von Sergei Iwanowitschs Diener die Wohnung des Bruders hatte angeben lassen, stand er schon
    im Begriffe, sofort zu ihm zu fahren; aber nach kurzer Überlegung entschied er sich dafür, diesen Besuch bis zum
    Abend zu verschieben. Vor allen Dingen mußte er, um sein seelisches Gleichgewicht wiederzuerlangen, die
    Angelegenheit zur Entscheidung bringen, um derentwillen er nach Moskau gekommen war. Daher fuhr er von seinem
    Bruder Sergei zu Oblonski nach dessen Dienstgebäude, und nachdem er von diesem Auskunft über Schtscherbazkis
    erhalten hatte, fuhr er dorthin, wo er nach Oblonskis Angabe Kitty zu treffen hoffte.

9
    Um vier Uhr stieg Ljewin, der sein Herz heftig klopfen fühlte, am Zoologischen Garten aus der Droschke und ging
    auf einem Fußweg zur Rodelbahn und zur Eisbahn; er wußte zuverlässig, daß er Kitty dort finden werde, da er den
    Schtscherbazkischen Wagen beim Eingangstor gesehen hatte.
    Es war ein heller Frosttag. Am Eingangstor standen in langen Reihen Wagen, vornehme Schlitten und einfache
    Schlittendroschken; Polizisten führten die Aufsicht. Von gutgekleideten Menschen, deren Hüte im hellen
    Sonnenscheine glänzten, wimmelte es am Eingange und auf den gesäuberten Fußwegen zwischen den russischen Häuschen
    mit den geschnitzten Firstbalken; die alten krausen Birken des Gartens ließen, vom Schnee beschwert, alle Zweige
    herabhängen und sahen aus, als ob sie in neue Festgewänder gekleidet seien.
    Während er auf dem Fußwege zur Eisbahn ging, sagte er zu sich selbst: ›Ich darf mich nicht aufregen; ich muß
    ruhig sein. Warum klopfst du so?‹ redete er sein Herz an. ›Was hast du? Sei still, du dummes Ding!‹ Aber je mehr er
    sich bemühte, ruhig zu werden, um so schwerer wurde ihm das Atmen. Ein Bekannter begegnete ihm und rief ihn an;
    aber Ljewin erkannte nicht einmal, wer es war. Er näherte sich der Rodelbahn, wo die Ketten der auf und ab
    fahrenden Schlitten klirrten, die hinabsausenden Schlitten laut auf dem Eise knirschten und fröhliche Stimmen
    erklangen. Nun ging er noch einige Schritte weiter, und vor ihm breitete sich die Eisbahn aus, und sofort erkannte
    er unter all den Schlittschuhläufern Kitty.
    Er erkannte, daß sie da war, an dem Gefühle der Freude und zugleich der Angst, von dem sein Herz ergriffen
    wurde. Sie stand, im Gespräch mit einer Dame begriffen, am entgegengesetzten Ende der Eisbahn. Anscheinend war
    weder an ihrer Kleidung noch an ihrer Haltung etwas Auffallendes; aber für Ljewin war es ebenso leicht, sie aus
    diesem Menschenschwarm herauszufinden wie einen Rosenstrauch aus Nesseln. Alles wurde von ihr erleuchtet; sie war
    das Lächeln, das alles umher in heiterem Glanze erstrahlen ließ. ›Kann ich mich wirklich aufs Eis hinunter begeben
    und zu ihr hingehen?‹ überlegte er. Die Stelle, wo sie stand, erschien ihm als ein unnahbares Heiligtum, und einen
    Augenblick war er nahe daran, wieder wegzugehen; so bange war ihm zumute. Er mußte sich erst gewaltsam
    zusammennehmen und sich sagen, daß sich ja dort in ihrer Nähe allerlei Leute bewegten und auch er selbst ja
    hergekommen sein konnte, um Schlittschuh zu laufen. So stieg er auf das Eis hinunter, vermied es aber, wie man das
    bei der Sonne tut, Kitty lange anzusehen; aber er sah sie, wie die Sonne, auch ohne hinzublicken.
    Auf dem Eise pflegten an diesem Wochentage und zu dieser Tageszeit Angehörige eines bestimmten
    Gesellschaftskreises zusammenzukommen, die alle untereinander bekannt

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