Anna Karenina
waren. Da waren Meister im
Schlittschuhlaufen, die mit ihrer Kunst glänzten, Anfänger hinter Stuhlschlitten, mit ängstlichen, ungeschickten
Bewegungen, neben ganz jungem Volke auch alte Leute, die ihrer Gesundheit wegen liefen; sie alle betrachtete Ljewin
als auserwählte Günstlinge des Glückes, weil ihnen vergönnt war, hier in Kittys Nähe zu sein. Aber alle diese
Schlittschuhläufer, schien es, waren dabei von der größten Seelenruhe, holten sie ein, überholten sie, redeten
sogar mit ihr und vergnügten sich ganz ohne Rücksicht auf sie, indem sie sich das vorzügliche Eis und das schöne
Wetter mit Lust zunutze machten.
Nikolai Schtscherbazki, ein Vetter Kittys, saß in kurzer Jacke und engen Hosen, die Schlittschuhe an den Füßen,
auf einer Bank und rief, sobald er Ljewin erblickte, ihm zu:
»Sieh da, der erste Schlittschuhläufer Rußlands! Sind Sie schon lange hier? Prächtiges Eis! Schnallen Sie doch
die Schlittschuhe an!«
»Ich habe gar keine mit«, antwortete Ljewin und wunderte sich selbst, daß er sich in ihrer Gegenwart so dreist
und ungezwungen zu benehmen vermochte; er verlor sie keine Sekunde aus den Augen, obwohl er nicht zu ihr
hinblickte. Er fühlte, daß seine Sonne sich ihm näherte. Kitty hatte in einer Ecke gestanden und kam nun, die
schmalen Füßchen in den hohen Stiefelchen in stumpfem Winkel aufsetzend, mit augenscheinlicher Zaghaftigkeit auf
ihn zugelaufen. Ein Knabe in russischer Tracht, der wie ein Verzweifelter die Arme umherwarf und sich tief vornüber
bückte, überholte sie. Sie lief nicht sehr sicher; daher hatte sie die Hände aus dem kleinen, an einer Schnur
hängenden Muff herausgezogen und hielt sie in Bereitschaft; sie blickte Ljewin, den sie erkannt hatte, an und
lächelte ihm freundlich zu, wobei sie zugleich ihr eigene Ängstlichkeit belächelte. Als sie die erforderliche
Schwenkung glücklich ausgeführt hatte, gab sie sich mit dem federnden Füßchen einen kleinen Stoß und glitt gerade
auf Schtscherbazki zu; sie ergriff ihn am Arme und nickte Ljewin lächelnd zu. Sie war noch schöner als das Bild,
das ihm vorgeschwebt hatte.
Wenn er an sie gedacht hatte, hatte er sich ihr ganzes Persönchen lebhaft vorstellen können, namentlich den
stillen Reiz dieses kleinen, blonden Köpfchens mit dem Ausdruck kindlicher Unschuld und Herzensgüte, das so frei
auf den wohlgeformten, jungfräulichen Schultern saß. Die Kindlichkeit ihres Gesichtsausdruckes im Verein mit der
schlanken Schönheit ihrer Gestalt bildete an ihr einen besonderen Reiz, für den Ljewin durchaus Verständnis hatte;
aber was ihn an ihr immer wie etwas Unerwartetes überraschte, das war der Ausdruck ihrer Augen, dieser sanften,
ruhigen, ehrlichen Augen, und ganz besonders ihr Lächeln, das ihn immer in eine Zauberwelt versetzte, in der er
sich so gerührt und so weich gestimmt fühlte, wie er es nach seiner Erinnerung nur an einigen wenigen Tagen seiner
frühesten Kindheit gewesen war.
»Sind Sie schon lange hier?« fragte sie, ihm die Hand reichend. »Danke schön!« fügte sie hinzu, als er das
Taschentuch aufhob, das ihr aus dem Muff gefallen war.
»Ich? Ich bin eben erst ... gestern ... das heißt, heute bin ich angekommen«, antwortete Ljewin, der vor
Aufregung ihre Frage nicht sogleich verstanden hatte. »Ich wollte bei Ihnen einen Besuch machen«, fuhr er fort, und
da ihm in demselben Augenblick einfiel, welche Absicht ihn zu ihr führte, wurde er verlegen und errötete. »Ich habe
gar nicht gewußt, daß Sie auch Schlittschuh laufen; und Sie laufen sehr gut.«
Sie blickte ihn aufmerksam an, als wollte sie die Ursache seiner Verlegenheit erforschen.
»Ihr Lob ist mir sehr wertvoll. Es hat sich hier eine Überlieferung erhalten, daß Sie der beste
Schlittschuhläufer sind«, antwortete sie und klopfte mit ihrer kleinen, in einem schwarzen Handschuh steckenden
Hand die Reifnadeln ab, die auf ihren Muff gefallen waren.
»Ja, ich lief früher mit Leidenschaft; ich wollte es zur Meisterschaft bringen.«
»Es scheint, Sie tun alles mit Leidenschaft«, versetzte sie lächelnd. »Ich würde Sie sehr gern einmal laufen
sehen. Schnallen Sie sich doch Schlittschuhe an; dann können wir ja zusammen laufen.«
›Zusammen laufen! Ist das denn wirklich möglich?‹ dachte Ljewin, indem er sie anblickte.
»Ich will mir sofort welche anschnallen«, sagte er.
Und er ging hin, um Schlittschuhe anzuschnallen.
»Sie sind ja lange nicht bei uns gewesen, gnädiger Herr«,
Weitere Kostenlose Bücher