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Anna Karenina - Vollständige Ausgabe (German Edition)

Anna Karenina - Vollständige Ausgabe (German Edition)

Titel: Anna Karenina - Vollständige Ausgabe (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Leo Tolstoi
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Deichselpferde, das er an Wronski verkauft hatte.
     
    »Halt!« schrie Petrizki dem bereits hinausgehenden Wronski zu. »Dein Bruder hat einen Brief für dich hiergelassen und einen Zettel. Warte mal, wo mögen die nur sein?«
     
    Wronski blieb stehen.
     
    »Nun, wo sind sie denn?«
     
    »Wo sie sind? Ja, das ist eben die Frage!« sagte Petrizki feierlich und strich sich mit dem Zeigefinger nach oben hin über die Nase.
     
    »Na, nun sag es doch! Das ist ja eine Dummheit!« meinte Wronski lächelnd.
     
    »Den Kamin habe ich nicht geheizt. Sie müssen hier irgendwo sein.«
     
    »Nun laß die Torheiten! Wo ist der Brief?«
     
    »Nein, wahrhaftig, ich hab's vergessen. Oder hab ich die ganze Geschichte nur geträumt? Warte doch, so warte doch nur! Da brauchst du doch nicht gleich ärgerlich zu werden! Wenn du, wie ich gestern, eine Zecherei mitgemacht hättest, bei der vier Flaschen auf den Mann kamen, dann würdest du überhaupt nicht mehr wissen, wo du lägst. Warte, es wird mir gleich einfallen!«
     
    Petrizki ging hinter den Verschlag und legte sich auf sein Bett.
     
    »Halt einmal! So lag ich, so stand er. Ja, ja; ja, ja ... Und da ist er!« Wirklich zog Petrizki den Brief unter der Matratze hervor, wo er ihn versteckt hatte.
     
    Wronski nahm den Brief und den von seinem Brüder geschriebenen Zettel in Empfang. Es war genau das, was er erwartet hatte: ein Brief von seiner Mutter mit Vorwürfen, daß er nicht zu ihr gekommen sei, und ein Zettel von seinem Bruder, der ihm schrieb, er müsse ihn dringend sprechen. Wronski wußte, daß es sich immer um dieselbe Sache handele. ›Was geht das die an!‹ dachte er, knickte den Brief und den Zettel mehrmals zusammen und schob sie zwischen die Knöpfe seines Waffenrocks, um sie während des Fahrens aufmerksam zu lesen. Im Flur des Häuschens begegneten ihm zwei Offiziere, der eine von seinem Regiment, der andere von einem anderen.
     
    Wronskis Quartier bildete immer den Sammelplatz für alle Offiziere.
     
    »Wohin?«
     
    »Ich muß nach Peterhof.«
     
    »Ist das Pferd aus Zarskoje gekommen?«
     
    »Ja, aber ich habe es noch nicht gesehen.«
     
    »Es heißt, Machotins Gladiator sei lahm geworden.«
     
    »Unsinn! Aber wie werdet ihr nur bei diesem Schmutze reiten können?« sagte der zweite.
     
    »Da kommen meine Retter!« schrie Petrizki, als er die Eintretenden erblickte. (Vor ihm stand sein Bursche mit Schnaps und Salzgurken auf einer Platte.) »Jaschwin hier hat gesagt, ich solle trinken, um wieder frisch zu werden.«
     
    »Na, ihr habt uns gestern mit euerem Heidenlärm gehörig geärgert«, sagte einer der Hinzugekommenen. »Die ganze Nacht habt ihr uns nicht schlafen lassen.«
     
    »Nein, und nun erst der Schluß der ganzen Geschichte!« erzählte Petrizki. »Wolkow kletterte aufs Dach und sagte, er sei so traurig. Ich rief: ›Hierher die Musik! Einen Trauermarsch!‹ Und so schlief er auf dem Dache bei den Klängen des Trauermarsches ein.«
     
    »Du mußt Schnaps trinken, unbedingt Schnaps trinken, und dann Selterswasser mit viel Zitrone«, meinte Jaschwin, der über den liegenden Petrizki gebeugt dastand wie eine Mutter, die einem Kinde zuredet, eine Arznei einzunehmen. »Und dann ein bißchen Champagner, etwa so ein Fläschchen.«
     
    »Na, das ist ein verständiger Rat. Bleib doch noch hier, Wronski, und trink mit!«
     
    »Nein. Auf Wiedersehen, meine Herren! Heute trinke ich nicht.«
     
    »Du wirst wohl dadurch zu schwer? Na, dann trinken wir allein. Bring Selterswasser und Zitronen!«
     
    »Wronski!« rief ihm einer noch nach, als er schon auf den Flur hinausging.
     
    »Was?«
     
    »Du solltest dir die Haare schneiden lassen; die machen dich sonst zu schwer, besonders auf der Glatze.«
     
    Wronski bekam in der Tat vorzeitig einen kahlen Kopf. Er lachte vergnügt auf, wobei er seine vortrefflichen Zähne zeigte, schob die Mütze auf den kahlen Kopf, ging hinaus und stieg in den Wagen.
     
    »Nach dem Stall!« rief er dem Kutscher zu und wollte schon den Brief und den Zettel hervorholen, um sie durchzulesen; aber dann änderte er seine Absicht, um nicht vor der Besichtigung des Pferdes seine Gedanken zu zerstreuen. ›Nachher!‹ sagte er bei sich.
     

21
     
    D er behelfsmäßige Stall, eine Bretterbude, war unmittelbar neben der Rennbahn eingerichtet, und dahin hatte sein Pferd nach seiner Anordnung schon tags zuvor übergeführt werden sollen. Er hatte es noch nicht gesehen. In diesen letzten Tagen hatte er das Tier nicht selbst

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