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Anna Karenina - Vollständige Ausgabe (German Edition)

Anna Karenina - Vollständige Ausgabe (German Edition)

Titel: Anna Karenina - Vollständige Ausgabe (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Leo Tolstoi
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gesehen, nicht dicker als ein Finger zu sein, waren dagegen, von der Seite betrachtet, ungewöhnlich breit. Das ganze Tier war, mit Ausnahme der Rippen, gleichsam von den Seiten her zusammengedrückt und hinten hinabgezogen. Aber es besaß im höchsten Maße einen Vorzug, der alle solche Mängel vergessen ließ; dieser Vorzug war das Blut, jenes Blut, das nach dem englischen Ausdruck ›sich zeigt‹. Aus dem Adernetz, das sich in der feinen, beweglichen, atlasglatten Haut ausbreitete, traten die Muskeln scharf heraus, die so fest wie Knochen zu sein schienen. Der magere Kopf mit den vorstehenden, glänzenden, munteren Augen verbreiterte sich am Maule zu den herausragenden Nüstern, deren Innenhaut mit blutroten Äderchen durchzogen war. In der ganzen Gestalt und namentlich in der Bildung des Kopfes lag ein Ausdruck von Bestimmtheit und Energie und doch zugleich von Zartheit. Es war eines von jenen Tieren, die anscheinend nur deswegen nicht sprechen, weil es ihnen die mechanische Einrichtung ihres Mundes nicht gestattet.
     
    Wronski wenigstens hatte den Eindruck, als verstünde die Stute alles, was er jetzt bei ihrem Anblicke empfand.
     
    Sobald Wronski zu ihr hineintrat, zog sie die Luft tief einatmend in sich hinein, verdrehte ihr ihm zugewandtes vorstehendes Auge dermaßen, daß das Weiße sich von Blut rot färbte, sah von der gegenüberliegenden Seite der Box nach den Eintretenden hin, rüttelte ein wenig mit dem Kappzaum und trat mit federnden Bewegungen von einem Fuße auf den anderen.
     
    »Nun, da sehen Sie, wie aufgeregt sie ist«, sagte der Engländer.
     
    »O meine Liebe, Gute, o!« rief Wronski, indem er zu der Stute hintrat und sie zu besänftigen suchte.
     
    Aber je näher er heranging, um so mehr regte sie sich auf. Nur als er sich ihrem Kopfe näherte, wurde sie auf einmal still, und ihre Muskeln zitterten unter dem feinen, zarten Fell. Wronski streichelte ihr den festen Hals, legte auf dem scharfen Kamm eine nach der anderen Seite hinübergefallene Strähne der Mähne zurecht und näherte sein Gesicht ihren weit geöffneten Nüstern, die so dünn schienen wie die Flügel einer Fledermaus. Sie atmete mit geblähten Nüstern geräuschvoll ein und aus, zuckte zusammen, drückte die spitzen Ohren an den Kopf und streckte die festen, schwarzen Lippen nach Wronski aus, als ob sie ihn am Ärmel fassen wollte. Aber da sie sich des Kappzaumes erinnerte, so schüttelte sie mit diesem und begann wieder mit ihren fein gedrechselten Füßen hin und her zu treten.
     
    »Immer ruhig, meine Liebe, Gute, immer ruhig!« sagte er und streichelte sie noch einmal mit der Hand über das Hinterteil; dann verließ er die Box in dem frohen Bewußtsein, daß das Pferd sich in der besten Verfassung befinde.
     
    Die Erregung des Pferdes war auch auf Wronski übergegangen; er fühlte, wie ihm das Blut zum Herzen strömte und daß er, gerade wie das Pferd, Lust bekam, wilde Bewegungen mit den Gliedern zu machen und um sich zu beißen; es war ihm bänglich und froh zugleich zumute.
     
    »Also ich verlasse mich auf Sie«, sagte er zu dem Engländer. »Seien Sie um halb sieben zur Stelle!«
     
    »All right!« erwiderte der Engländer. »Wohin fahren Sie, Mylord?« fragte er unvermutet, indem er diesmal die Anrede Mylord gebrauchte, deren er sich sonst fast nie bediente.
     
    Verwundert hob Wronski den Kopf in die Höhe und blickte mit jenem Blicke, auf den er sich verstand, dem Engländer nicht in die Augen, sondern auf die Stirn, erstaunt über die Dreistigkeit der Frage. Aber da er sich sagte, daß der Engländer, indem er so fragte, in ihm nicht den Herrn, sondern sozusagen einen Jockei gesehen habe, antwortete er ihm:
     
    »Ich muß zu Brjanski; in einer Stunde bin ich wieder zu Hause.«
     
    ›Wie oft ist heute schon diese Frage an mich gerichtet worden!‹ sagte er bei sich selbst und errötete, was bei ihm nur selten vorkam. Der Engländer richtete einen forschenden Blick auf ihn, und als ob er wüßte, wohin Wronski fahren wollte, fügte er hinzu:
     
    »Das erste Erfordernis ist, daß man sich vor dem Rennen in ruhiger Gemütsstimmung befindet. Seien Sie heiter, und lassen Sie sich durch nichts die Laune verderben!«
     
    »All right!« erwiderte Wronski lächelnd, sprang in den Wagen und befahl dem Kutscher, nach Peterhof zu fahren.
     
    Kaum war er einige Schritte gefahren, als eine dunkle Wolke, die schon seit dem Vormittag mit Regen gedroht hatte, heraufzog und ein Platzregen sich ergoß.
     
    ›Schlimm!‹

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