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Anna Karenina - Vollständige Ausgabe (German Edition)

Anna Karenina - Vollständige Ausgabe (German Edition)

Titel: Anna Karenina - Vollständige Ausgabe (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Leo Tolstoi
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bemerken, hastig und hitzig seine Ideen zu entwickeln fortfuhr.
     
    Als Anna mit Hut und Umhang wieder ins Zimmer trat und, mit der schönen Hand in schnellen Bewegungen an ihrem Sonnenschirm herumspielend, neben Wronski stehengeblieben war, machte sich dieser mit einem Gefühl der Erleichterung von Golenischtschews unverwandt auf ihn gerichteten, mißmutig klagenden Blick los und schaute mit neuer Liebe auf seine reizende, lebensfrische, frohe Gefährtin. Golenischtschew gewann nur mit Mühe seine Fassung wieder und war zunächst sehr niedergeschlagen und finster; aber Anna, die es mit allen Menschen gut und freundlich meinte (so war sie eben damals), wußte ihn durch ihr einfaches, munteres Wesen bald aufzuheitern. Nachdem sie es mit verschiedenen Gesprächsstoffen versucht hatte, brachte sie ihn auf die Malerei, über die er sehr gut sprach, und hörte ihm aufmerksam zu. Sie gingen zu Fuß nach dem gemieteten Hause und besichtigten es.
     
    »Eins macht mir ganz besondere Freude«, sagte Anna zu Golenischtschew, als sie bereits wieder auf dem Heimweg waren: »Alexei wird hier ein gutes Atelier haben. Nimm dir dazu unter allen Umständen das Zimmer, von dem wir sprachen«, sagte sie zu Wronski auf russisch und redete ihn dabei mit du an, da sie bereits voraussah, daß Golenischtschew bei ihrer Vereinsamung ihnen nähertreten werde und sich deshalb sagte, daß man sich vor ihm nicht zu verstellen brauchte.
     
    »Malst du denn?« fragte Golenischtschew, sich schnell an Wronski wendend.
     
    »Ja, ich habe mich vor langer Zeit damit beschäftigt und es jetzt wieder ein bißchen hervorgeholt«, versetzte Wronski errötend.
     
    »Er hat großes Talent«, fügte Anna mit freudigem Lächeln hinzu. »Ich vermag es ja natürlich nicht zu beurteilen; aber sachverständige Beurteiler haben dasselbe gesagt.«
     

8
     
    A nna fühlte sich in dieser ersten Zeit ihrer Freiheit und ihrer schnellen Genesung in unverzeihlicher Weise glücklich und voll Lebensfreude. Die Erinnerung an die unglückliche Lage ihres Mannes trübte ihr Glück nicht. Einerseits war diese Erinnerung gar zu schrecklich, als daß sie mit ihren Gedanken dabei hätte verweilen mögen; und anderseits war das Unglück ihres Mannes für sie die Quelle eines zu großen Glückes geworden, als daß sie es hätte bereuen können, ihn unglücklich gemacht zu haben. Die Erinnerung an alles, was mit ihr nach ihrer Krankheit geschehen war: die Versöhnung mit ihrem Mann, die Entzweiung, die Nachricht von Wronskis Verwundung, sein Wiedererscheinen, die Vorbereitungen zur Scheidung, der Abschied von ihrem Sohn, die Wegfahrt von dem Hause ihres Mannes – alles das erschien ihr wie ein Fiebertraum, aus dem sie erst erwachte, als sie sich allein mit Wronski im Ausland befand. Die Erinnerung an das Leid, das sie ihrem Manne zugefügt hatte, erregte bei ihr ein Gefühl von Widerwillen, ein Gefühl, wie es jemand empfinden mag, der in Gefahr war zu ertrinken und einen andern Menschen, der sich an ihn anklammerte, von sich gestoßen hat. Dieser Mensch ist ertrunken. Selbstverständlich, das war unmoralisch gehandelt; aber es war die einzige Rettung, und nun ist es das beste, man denkt an diese furchtbaren Einzelheiten nicht mehr.
     
    Nur eine einzige beruhigende Überlegung über das, was sie getan, war ihr damals im ersten Augenblick nach dem Bruch in den Sinn gekommen, und sobald sie jetzt an alles Vergangene dachte, erinnerte sie sich auch wieder an diesen einen Gedanken. ›Ich habe es nicht vermeiden können, diesen Menschen unglücklich zu machen‹, dachte sie, ›aber ich will aus diesem Unglück keinen Nutzen ziehen; auch ich leide und werde immer leiden; ich habe verloren, was mir das Teuerste war, meinen ehrlichen Namen und meinen Sohn. Ich habe schlecht gehandelt, und darum will ich kein Glück für mich; ich will keine Scheidung; die Schande und die Trennung von meinem Sohn, das wird mein Leid sein.‹ Aber wie aufrichtig auch Annas Wunsch war, selbst zu leiden: sie litt nicht. Von Schande war nichts zu spüren. Mit jenem Taktgefühl, das ihnen beiden in so hohem Maße eigen war, vermieden sie im Auslande Begegnungen mit russischen Damen, so daß sie sich nicht in eine falsche Stellung brachten, und verkehrten immer nur mit Leuten, die sich stellten, als hätten sie für ihr beiderseitiges Verhältnis ein völliges Verständnis, sogar ein noch weit besseres als sie beide selbst. Selbst die Trennung von ihrem Sohn, den sie so sehr liebte, bereitete ihr in der

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