Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Anna Karenina - Vollständige Ausgabe (German Edition)

Anna Karenina - Vollständige Ausgabe (German Edition)

Titel: Anna Karenina - Vollständige Ausgabe (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Leo Tolstoi
Vom Netzwerk:
manchmal zurück und prallten ein paarmal, wenn der Geistliche stehenblieb, gegen die Brautleute an. Der Freudenfunke, der bei Kitty aufgeflammt war, schien bei allen in der Kirche Anwesenden weitergezündet zu haben. Ljewin hatte die Vorstellung, als ob auch der Geistliche und der Protodiakon ebensolche Lust zu lächeln hätten wie er selbst.
     
    Der Geistliche nahm die Kronen von ihren Häuptern herab, las das letzte Gebet und beglückwünschte das junge Paar. Ljewin blickte auf Kitty und hatte sie noch nie so schön gesehen wie jetzt. Sie war entzückend in dem neuen Glanze von Glückseligkeit, der auf ihrem Antlitz lag. Ljewin hätte ihr gern etwas gesagt, wußte aber nicht, ob auch wirklich alles zu Ende sei. Der Geistliche half ihm aus dieser Schwierigkeit heraus. Indem ein gutmütiges Lächeln seinen Mund umspielte, sagte er leise: »Küssen Sie Ihre Gattin, und Sie Ihren Gatten«, und nahm ihnen die Kerzen aus den Händen.
     
    Ljewin küßte behutsam Kittys lächelnde Lippen, reichte ihr den Arm und ging, indem er sich in neuer, eigenartiger Weise ihr nahe fühlte, aus der Kirche. Er glaubte nicht, konnte nicht glauben, daß das alles Wirklichkeit war. Nur wenn seine und ihre verwunderten, schüchternen Blicke einander trafen, nur dann glaubte er daran, weil er fühlte, daß sie beide schon eins waren.
     
    Nach dem Hochzeitsessen fuhr das junge Paar noch in derselben Nacht nach dem Gute.
     

7
     
    W ronski und Anna reisten schon seit drei Monaten zusammen in Europa umher. Sie hatten Venedig, Rom und Neapel besucht und waren soeben im Hotel einer kleineren italienischen Stadt angekommen, wo sie eine Zeitlang sich aufzuhalten gedachten.
     
    Der schöne Oberkellner, durch dessen dichtes, wohlpomadisiertes Haar sich ein vom Nacken anfangender Scheitel zog, im Frack und mit breiter, weißer, batistner Hemdbrust, mit einem ganzen Bündel Berlocken auf dem rundlichen Bauche, hatte die Hände in den Taschen und kniff geringschätzig die Augen zusammen, während er einem vor ihm stehenden Herrn in wenig höflichem Tone eine Antwort gab. Als er aber von der andern Seite, vom Eingang her, Schritte vernahm, die die Treppe heraufkamen, wandte er sich um, und sobald er den russischen Grafen erblickte, der bei ihnen im Hotel die besten Zimmer inne hatte, nahm er ehrerbietig die Hände aus den Taschen und meldete in vorgebeugter Haltung, der Kurier sei dagewesen, und die Angelegenheit mit dem Mieten eines Palazzos sei in Ordnung gebracht. Der Intendant sei bereit, den Vertrag zu unterzeichnen.
     
    »Ah, das ist mir sehr angenehm«, antwortete Wronski. »Ist die gnädige Frau zu Hause?«
     
    »Die gnädige Frau war spazierengegangen, ist aber jetzt bereits zurückgekehrt«, erwiderte der Oberkellner.
     
    Wronski nahm den weichen, breitkrempigen Hut vom Kopf und fuhr sich mit dem Taschentuch über die schweißbedeckte Stirn und über das Haar, das er sich halb über die Ohren hatte wachsen lassen, aber zurückgekämmt trug, damit es seine Glatze verdeckte. Mit einem zerstreuten Blick auf den Herrn, der noch dastand und ihn aufmerksam betrachtete, wollte er vorbeigehen.
     
    »Der Herr ist Russe und hat nach Ihnen gefragt«, berichtete der Oberkellner.
     
    Mit einem Gefühl, in dem sich der Ärger darüber, daß man doch nirgends seinen Bekannten entgehen könne, mit dem Wunsche vermischte, irgendwelche Zerstreuung in der Einförmigkeit seines Lebens zu erhalten, blickte Wronski noch einmal nach dem Herrn hin, der zur Seite getreten und dort stehengeblieben war. Und in ein und demselben Augenblick leuchteten die Augen des einen wie des andern auf.
     
    »Golenischtschew!«
     
    »Wronski!«
     
    Es war wirklich Golenischtschew, Wronskis ehemaliger Kamerad im Pagenkorps. Golenischtschew hatte im Korps zur Fortschrittspartei gehört; er hatte das Korps mit einem Zivilrang verlassen, aber nirgends ein Amt übernommen. Mit dem Abgang aus dem Korps hatten die wechselseitigen Beziehungen der beiden Kameraden aufgehört, und sie waren nachher nur noch einmal zusammengetroffen.
     
    Bei jener Begegnung hatte Wronski gemerkt, daß Golenischtschew sich ein hochgeistiges Wirken für die liberalen Ideen zur Lebensaufgabe gemacht hatte und infolgedessen geneigt war, auf Wronskis Beruf und Tätigkeit mit Geringschätzung herabzublicken. Daher hatte Wronski bei jener Begegnung mit Golenischtschew sich gegen ihn mit der kalten, stolzen Zurückhaltung benommen, die er Leuten dieser Art gegenüber zum Ausdruck zu bringen verstand und

Weitere Kostenlose Bücher