Traumkristalle
Auf der Seifenblase
Onkel Wendel, Onkel Wendel! Sieh nur die große Seifenblase, die wunderschönen Farben! Woher nur die Farben kommen?
So rief mein Söhnchen vom Fenster herab in den Garten, wohin es seine bunten Schaumbälle flattern ließ.
Onkel Wendel saß neben mir im Schatten der hohen Bäume, und unsere Zigarren verbesserten die reine, würzige Luft eines schönen Sommernachmittags.
„Hm!“ sagte oder vielmehr brummte Onkel Wendel zu mir gewendet, „hm, erkläre ihm doch! Hm! Bin neugierig, wie du’s machen willst. Interferenzfarben an dünnen Blättchen, nicht wahr? Kenn’ ich schon. Verschiedene Wellenlänge, Streifen decken sich nicht, und so weiter. Wird der Junge verstehen – hm?“
„Ja“, erwiderte ich etwas verlegen, „die physikalische Erklärung kann das Kind freilich nicht verstehen – aber das ist auch gar nicht nötig. Erklärung ist ja etwas Relatives und muß sich nach dem Standpunkte des Fragenden richten; es heißt nur, die neue Tatsache in einen gewohnten Gedankengang einreihen, mit gewohnten Vorstellungen verknüpfen – und da die Formeln der mathematischen Physik noch nicht zum gewohnten Gedankengang meines Sprößlings gehören –“
„Nicht übel, hm!“ nickte Onkel Wendel. „Hast es so ziemlich getroffen. Kannst es nicht erklären, nicht mit gewohnten Vorstellungen verbinden – gibt gar keinen Anknüpfungspunkt. Das ist es eben! Erfahrung des Kindes – ganz andere Welt – gibt Dinge, für die alle Verbindung fehlt. Ist überall so! Der Wissende muß schweigen, der Lehrer muß lügen. Oder er kommt ans Kreuz, auf den Scheiterhaufen, in die Witzblätter – je nach der Mode. Mikrogen! Mikrogen!“
Die beiden letzten Worte murmelte der Onkel nur für sich. Ich hätte sie nicht verstanden, wenn ich nicht den Namen „Mikrogen“ schon öfter von ihm gehört hätte. Es war seine neueste Erfindung.
Onkel Wendel hatte schon viele Erfindungen gemacht. Er machte eigentlich nichts als Erfindungen. Seine Wohnung war ein vollständiges Laboratorium, halb Alchimistenwerkstatt, halb modernes physikalisches Kabinett. Es war eine besondere Gunst, wenn er jemand gestattete einzutreten. Denn er hielt alle seine Entdeckungen geheim. Nur manchmal, wenn wir vertraulich beisammensaßen, lüftete er einen Zipfel des Schleiers, der über seinen Geheimnissen lag. Dann staunte ich über die Fülle seiner Kenntnisse, noch mehr über seine tiefe Einsicht in die wissenschaftlichen Methoden und ihre Tragweite, in die ganze Entwicklung des kulturellen Fortschritts. Aber er war nicht zu bewegen, mit seinen Ansichten hervorzutreten, und darum auch nicht mit seinen Entdeckungen, weil diese, wie er sagte, ohne seine neuen Theorien nicht zu verstehen seien. Ich habe selbst bei ihm gesehen, wie er aus anorganischen Stoffen auf künstlichem Wege das Eiweiß darstellte. Wenn ich in ihn drang, diese epochemachende Entdeckung, welche vielleicht geeignet wäre, unsere sozialen Verhältnisse gänzlich umzugestalten, bekannt zu machen oder wenigstens zu fruktifizieren, so pflegte er zu sagen: „Habe nicht Lust, mich auslachen zu lassen. Können’s doch nicht verstehn. Sind noch nicht reif, kein Anknüpfungspunkt, andre Welt, andre Welt! Tausend Jahre warten! Lasse die Leute streiten, einer weiß so wenig wie der andere.“
Jetzt hatte er das „Mikrogen“ entdeckt. Ich weiß nicht recht, war es ein Stoff oder ein Apparat; aber so viel habe ich begriffen, daß er dadurch imstande war, eine Verkleinerung sowohl der räumlichen als der zeitlichen Verhältnisse in beliebigem Maßstabe zu erzielen. Eine Verkleinerung nicht etwa bloß für das Auge, wie sie durch optische Instrumente möglich ist, sondern für alle Sinne; die ganze Bewußtseins-Tätigkeit wurde verändert, so, daß zwar qualitativ alle Empfindungsarten dieselben blieben, aber alle quantitativen Beziehungen verengt wurden. Er behauptete, er könne ein beliebiges Individuum und mit ihm dessen Anschauungswelt einschrumpfen lassen auf den millionsten, auf den billionsten Teil seiner Größe. Wie er das mache? Ja, dann lachte er wieder still für sich und brummte:
„Hm, nicht verstehen können – kann’s euch nicht erklären – nützt euch doch nichts. Menschen bleiben Menschen, ob groß oder klein, sehen nicht über sich hinaus. Wozu erst streiten?“
„Wie kommst du jetzt auf das Mikrogen?“ fragte ich ihn.
„Sehr einfach, lieber Neffe. Das Mikrogen ist für die heutige gelehrte Welt, was die Seifenblase für deinen Jungen
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