Anna Strong Chronicles 01 - Verführung der Nacht
bis ihnen auffallen wird, dass ihre Tochter nicht altert. Mein Gesicht wird keine Fältelten bekommen, mein Körper nicht schlaff oder fett werden, meine Gelenke nicht arthritisch. Wie soll ich damit umgehen? Werde ich einfach verschwinden müssen? Wie soll ich es ertragen, mit anzusehen, wie sie ein weiteres Kind verlieren? Es muss eine andere Möglichkeit geben. Ich werde Avery fragen.
Der Gestank von Rauch in meinem Haar und auf meiner Haut reißt mich aus diesen Gedanken. Ich schlüpfe aus meinen Sachen und gehe ins Bad neben dem Schlafzimmer meiner Eltern. Ich lasse das Wasser heiß laufen, bevor ich mich unter die Dusche stelle. Der Dampf ist wie Balsam, für meine Seele wie für meinen Körper. Ich seife mich ein, dusche mich ab und bleibe ganze zehn Minuten unter der Dusche stehen, ohne etwas zu denken oder zu fühlen. Als ich die Hitze nicht mehr ertrage, trete ich hinaus. Das Badezimmer ist voller Wasserdampf. Ich wickle mir ein Handtuch um den Kopf und schnappe mir ein weiteres, um den Spiegel abzuwischen. Es dauert eine Minute, bis das Glas wieder klar ist, und noch eine, bis ich die Tatsache verdaut habe, dass mir daraus kein Spiegelbild entgegenstarrt. Diesem Schreck folgt die Erkenntnis, dass es eigentlich recht befreiend ist, sich nicht mehr mit sterblicher Eitelkeit befassen zu müssen. Ich rubble mir das Haar trocken, kämme es mit den Fingern durch, und das war’s.
Ich brauche nicht lange, um in Jeans und ein T-Shirt zu schlüpfen und ein paar Klamotten in eine Reisetasche zu packen. Meine Mutter und ich haben fast dieselbe Größe, und obwohl ihr Geschmack normalerweise in Richtung edel und elegant geht, besitzt sie auch ein paar legere Sachen, die ich jetzt gut gebrauchen kann. Ich hinterlasse ihr einen Zettel mit der Liste der Dinge, die ich mir geborgt habe. Sie wird eine Menge Fragen haben, aber es hat keinen Sinn, jetzt noch irgendwelche Erklärungen dazuzuschreiben. Meine Eltern werden von dem Brand erfahren, sobald sie aus Europa zurückkommen, also früh genug. Dann heißt es wieder ins Auto und auf zu Davids Loft. Er wohnt im Gaslamp Quarter am südlichen Rand der Innenstadt, das gerade zum In-Viertel wird.
Wo einst Obdachlose herumhingen, machen sich jetzt schicke Restaurants, Bars, Lofts und trendige Boutiquen breit. Die Obdachlosen sind natürlich auch noch da, aber inzwischen in die Seitengassen verdrängt. Berittene Polizisten sorgen dafür, dass sie sich nicht herauswagen und die neuen Bewohner verschrecken. Es ist etwa vier Uhr nachmittags, als ich in das unterirdische Parkhaus des Gebäudes hineinfahre. Erst jetzt merke ich, dass ich seine Parkkarte nicht dabeihabe auch die ist dem Feuer zum Opfer gefallen. Deshalb drücke ich den Knopf an der Sprechanlage und warte, bis er mich hereinlässt. Das tut er aber nicht.
Ich drücke noch einmal auf den Knopf. Er muss zu Hause sein, denn ich kann Davids Hummer in seiner ganzen knallgelben Pracht am anderen Ende des Parkdecks sehen. Immer noch keine Antwort. Jetzt werde ich sauer. Er will, dass ich bei ihm bleibe, also, wo ist er dann, wenn ich ihn brauche? Vorsichtig fahre ich rückwärts die Rampe wieder hinauf und parke an der Straße. Ich hole meine Reisetasche aus dem Kofferraum und werfe dabei einen Blick auf die Sicherheitstür.
Wie soll ich ins Haus kommen?
Diesen Schlüssel habe ich auch nicht. Aber zufällig erscheint in diesem Moment eine Frau mit einem niedlichen LabradorWelpen auf dem Arm. Ich eile die Stufen hinauf, als sie die Haustür öffnet. Wir lächeln uns an, und ich kraule pflichtbewusst den Welpen am Kopf, bevor ich mich an ihr vorbei durch die Tür schiebe.
David wohnt in der obersten Etage des zwölfstöckigen Gebäudes. Der Aufzug bleibt rumpelnd stehen, und ich klopfe an die Tür und rufe nach ihm. Die Tür gibt unter meiner Berührung nach, und ich schiebe sie ganz auf. Ach so, er hat sie für mich offen gelassen. Vermutlich bringt er gerade den Müll runter oder so, was erklärt, warum er mich nicht in die Tiefgarage lassen konnte.
David hat sein Loft mit FootballGeld gekauft einem Lastwagen voll. Das Wohnzimmer hat gläserne Wände, so dass der Blick ungehindert von der Innenstadt gen Norden bis zur Bucht schweifen kann. Dieses Panorama ist das Erste, was einem auffällt, wenn man das Loft betritt, und man wird quasi automatisch zum Balkon hingezogen, um es richtig zu bewundern.
Deshalb bleibe ich einfach da stehen, sehe den Segelbooten zu, die wie übermütige Pferde in der Bucht herumflitzen, und
Weitere Kostenlose Bücher