Anna Strong Chronicles 01 - Verführung der Nacht
wäre.Die Dinge sind verzerrt. Deine Instinkte sind möglicherweise nicht ganz zuverlässig.
Das soll mir helfen? Mehr kann ich nicht für dich tun.
Na dann, vielen Dank für gar nichts. Ich bekomme keine Antwort, und als ich im Rückspiegel nachsehe, ist der Pickup verschwunden.
Avery erwartet mich an der Haustür, als ich vorfahre. Er schüttelt den Kopf und geleitet mich mit einer Hand in meinem Rücken ins Haus.
»Er ist in keinem der umliegenden Krankenhäuser. Polizeichef Williams hat die Unfallberichte durchgesehen. Davids Name taucht nirgends auf. Es tut mir leid, Anna.« Meine Wut wird rasch zu kochendem Zorn. »Es ist Donaldson, nicht wahr? Er hat David entführt, um ein Druckmittel in der Hand zu haben. Aber warum? Was will er von mir?«
Wieder dieses Kopfschütteln. »Das kann ich dir nicht sagen. Donaldson ist eine unbekannte Größe. Aber wenn dein Verdacht stimmt und er das Feuer gelegt hat, dann können wir wohl davon ausgehen, dass er dich aus dem Weg schaffen will. Das wäre wohl auf eine bizarre Weise nachvollziehbar. Du bist das einzige seiner Opfer, das überlebt hat. Womöglich sieht er in dir eine Bedrohung.« Ich gehe auf und ab, und in meinem Magen und meinem Verstand herrscht blanker Aufruhr.
Er muss gewusst haben, dass ich zum Strandhaus zurückkehren würde. Warum hat er nicht einfach auf mich gewartet? Warum sollte er Feuer legen? Und warum David entführen?
Avery antwortet nicht. Er weiß es nicht. Das lese ich in seinen Gedanken. Er fühlt sich ebenso hilflos wie ich. Schlimmer noch. Da ist auch Hoffnungslosigkeit. Lass das, schimpfe ich. David darf nichts geschehen sein. Ich werde ihn finden.
Wenn Donaldson glaubt, er könnte mich treffen, indem er David entführt, dann hat er damit völlig recht. Was willst du jetzt tun?
Ich runzle die Stirn. Ich weiß es nicht. Du kennst doch die Vampirgesellschaft. Gibt es einen Ort, wo ein Außenseiter wie er Zuflucht finden könnte?
Avery betrachtet und verwirft mehrere Möglichkeiten, bis ihm etwas einfällt, ja, ich glaube schon. Dachtet du und David nicht, er sei auf dem Weg nach Mexiko, als ihr ihn stellen wolltet?
Ich nicke. Seine Frau hat ein Briefchen gefunden, das er seiner Freundin geschrieben hatte. Er hatte jemanden auf der anderen Seite der Grenze, und es war ausgemacht, dass er dort eine Weile unterkommen würde. Seine Frau hat den Brief der Polizei gegeben, aber er enthielt nicht genug Informationen, um ihn aufzuspüren.
Avery lächelt, als hätte ich damit seine Vermutung bestätigt.
Er geht zur Bibliothek hinüber, dicht gefolgt von mir, greift nach einem Atlas und schlägt ihn auf. Dann zeigt er mit dem Finger auf die Seite . Es könnte sein, dass er hier ist. Unmittelbar hinter der Grenze. In der Halbwüste. Dort gibt es ein Dorf, das zum Versteck für Desperados geworden ist, menschliche wie vampirische. Nicht einmal die Feredales trauen sich, dort Patrouille zu fahren. Die Einheimischen nennen es Besode la Muerte.
Ich gleiche das mit meinen beschränkten Spanischkenntnissen ab. Kuss des Todes?
Er nickt und deutet auf eine Stelle etwa in der Mitte zwischen Tijuana und Mexicali. Da ist doch nichts, wende ich ein. Nur Wüste.
Das stimmt nicht ganz. Es gibt hier eine Geisterstadt zumindest sieht sie von außen so aus. Verfallene Gebäude und eine verlassene Mine. Aber in der Mine lebt eine Gruppe Ausgestoßener, die wie Maulwürfe in den unterirdischen Gängen hausen. Ihr Anführer ist ein gesuchter Verbrecher namens Culebra das bedeutet Klapperschlange. Klapperschlange.
Reizend. Und sie leben in den Minenschächten?
Avery nickt wieder. Sie lassen sich über ein aufgegebenes Gleis Vorräte zur Mine bringen. Das Ganze wird finanziert von einem der größten Drogenhändler Mexikos. Er stellt ihnen alles Lebensnotwendige zur Verfügung und darf dafür gelegentlich diesen Ort benutzen.
Du meinst, als Versteck?
Eher als Müllkippe. Wenn er jemanden dorthin schickt, kehrt derjenige üblicherweise nicht zurück.
Und wie passt Donaldson in dieses entzückende Szenario?
Averys Gedanken wirken täuschend beherrscht. Ich bin natürlich nicht sicher, dass er überhaupt dort ist, aber es scheint mir der wahrscheinlichste Zufluchtsort zu sein.
Aber natürlich. So ein Versteck wäre perfekt für Donaldson, vor allem, wenn er hinter mir her ist. Wenn ich ihm dorthin folge, könnte er mich einfach beiseiteschaffen und David ebenso ohne dass jemand etwas mitbekommt. Ich blicke zu Avery auf.
»Genau das befürchtest du, nicht
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