Anna Strong Chronicles 01 - Verführung der Nacht
fertig ist, greift er in eine Schublade und holt einen Schlüssel heraus. Für den Explorer, sagt er.
Ich nehme den Schlüssel und falte die Karte zusammen. Kannst du mir sonst noch etwas sagen, das mir helfen könnte? Kann ich mich in einen Wolf verwandeln oder in Rauch auflösen oder so? Er lächelt. Noch nicht.
Ich wende mich zum Gehen. Seine Stimme hält mich an der Tür auf. Sei vorsichtig, Anna. Ich will dich wohlbehalten hier wiedersehen.
Danke, Avery. Aber es würde mir mehr bedeuten, wenn du auch David wohlbehalten wiedersehen wolltest. Darauf sagt er nichts mehr.
KAPITEL 21
Die langen Schatten der Nachmittagssonne kündigen den Sonnenuntergang an, als ich endlich den Stau am Grenzübergang in Tijuana hinter mir habe. Ich nehme den Highway 2 in östlicher Richtung und beeile mich, weil ich die unbeschilderte Abzweigung noch vor dem Dunkelwerden finden will. Avery sagte, es sei tagsüber schwer genug, sie zu entdecken. Ich nehme an, nachts dürfte es unmöglich sein.
Der Explorer ist brandneu, das Interieur aus Leder duftet und quietscht noch. Das Auto hat einfach alles, inklusive Navigationssystem mit Sicherheitsausstattung. Das wird Avery gewiss ein Trost sein sollte ich auf einer Müllkippe landen, wird er zumindest sein Auto zurückbekommen. Ich bin immer noch verärgert über seine Haltung David gegenüber. Verdammt, der gesamten Menschheit gegenüber. Und dabei ist er auch noch Arzt. Sieht er überhaupt die Ironie darin?
Ich rutsche auf dem Sitz herum und schalte schließlich das Radio ein. Fröhliche, schrille Musik erfüllt den Wagen. Das ist kein Trost. Ich hasse Mexiko. Ich habe es schon immer gehasst.
Die Regierung ist korrupt und das ganze Maquila-Programm hat nichts bewirkt, außer Arbeitsplätze zu vernichten und Drogenhändlern den Grenzübergang zu erleichtern. Dazu kommen noch Hitze, Staub, Armut und ein lächerlicher Wechselkurs.
Und warum denke ich gerade jetzt über so etwas nach? Ich fahre mir mit der Hand übers Gesicht. Weil das besser ist, als daran zu denken, welche Angst ich habe. Und um nicht daran denken zu müssen, was in meinem Hinterkopf vor sich hin fault wie eine eitrige Fleischwunde.
Ich weiß nicht, was ich bin oder zu was ich werde. Ich weiß nicht, wie ich damit umgehen soll, was mit Avery passiert ist. Ich weiß nicht, wohin, denn ich habe mein Zuhause verloren, und ich weiß nicht, was werden soll, wenn ich David nicht retten kann.
Das kommt nicht in Frage. Ich werde David retten. Ich muss. Das ist das Einzige, das ich ganz sicher weiß. Und meine einzige Hoffnung, mich selbst zu retten.
In der Wüste bricht die Nacht mit einer Endgültigkeit herein, die sie am Meer nicht hat. In einem Moment ist es noch hell, und im nächsten senkt sich die Dunkelheit herab, als hätte jemand einen Rollladen heruntergelassen. Trotz der Scheinwerfer ist die vernachlässigte Straße schwer zu erkennen und zu befahren. Averys Karte sagt mir, dass die Zufahrt zum Ort ganz nah sein muss, aber der Orientierungspunkt, eine einsame Sandkiefer, wird von der Nacht verschluckt. Nicht einmal eine winzige Mondsichel erhellt mir den Weg.
Ich bremse ab, unsicher, wie ich vorgehen soll. Das grelle Licht der Scheinwerfer hilft mir auch nicht. Spontan schalte ich sie aus. Mattes Licht, das von nirgendwo zu kommen scheint, erfüllt das Wageninnere, und ich stelle erstaunt fest, dass ich so viel besser sehen kann. Die kahle Landschaft hebt sich deutlich vom Nachthimmel ab. Haben Vampire eingebaute Nachtsicht? Himmel, es gibt noch so viel zu lernen. Ich suche nach der Kiefer. Sie steht knapp einen Kilometer vor mir, rechts neben der Straße. Links daneben verläuft ein ausgetrocknetes Flussbett. Das perfekte Versteck für den Wagen.
Ich manövriere ihn in den Schutz einiger magerer Kakteen, springe heraus und verstecke die Schlüssel unter einem Felsen daneben. Ich will nicht, dass sie in meiner Tasche herumklimpern.
Ich habe mir die Karte eingeprägt. Ich muss drei Kilometer weit laufen bis zu den ersten Gebäuden am Ortseingang. Nach meinem Sprint durch den Torrey Pines State Park sollte das ein Spaziergang werden. Ich ziehe meine Jacke aus und lege sie auf den Fahrersitz. In meinem ledernen Bianchi-Schulterhalfter steckt der Achtunddreißiger und zusätzliche Munition. Ich bin ein Risiko eingegangen, indem ich ihn über die Grenze mitgenommen habe, und gegen Vampire nützt er mir nichts, aber Avery sagte, es seien auch Menschen hier.
Außerdem trage ich Handschellen und einen Taser am
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