Anna Strong Chronicles 01 - Verführung der Nacht
bleiben? David braucht Hilfe. Ich stehe am Fenster und starre auf die Bucht hinaus, als eine Idee in mir zu wachsen beginnt. Das ist verrückt. Riskant.
Wahrscheinlich ziemlich dumm. Aber es ist die einzige Möglichkeit, die mir einfällt, um meinen Freund zu retten.
Ich werde ihn nach Beso de la Muerte bringen.
KAPITEL 37
Ich verschwende keine Zeit mehr auf innerliche Debatten, obwohl Avery derjenige ist, der mir von der Geisterstadt erzählt hat. Ich erinnere mich an diese provisorische Krankenstation mit Betten und Tropfständern. Wenn ich David dorthin schaffen kann, hat er vielleicht eine Chance. Also nehme ich David wieder auf die Arme, und wir fahren hinunter in die Garage. Diesmal haben wir nicht so viel Glück. Als sich die Fahrstuhltür in der Tiefgarage öffnet, steht dort ein Paar, dessen Mienen bei unserem Anblick man nur als verblüfft bezeichnen kann. Ich sause mit einem Lächeln an ihnen vorbei.
»Sieht ziemlich echt aus für eine aufblasbare Puppe, was?«
Ich warte die Reaktion nicht ab, sondern deponiere David umstandslos auf dem Rücksitz.
Die beiden schauen zu, wie ich mich ans Steuer setze und ausparke. Aber ich sehe sie nicht zum Handy greifen, also gehe ich davon aus, dass sie nicht die Polizei rufen. Wahrscheinlich wissen sie nicht, wie sie erklären sollen, was sie eben gesehen haben, ohne sich völlig verrückt anzuhören.
Sobald ich ein gutes Stück weit gefahren bin, halte ich an und lege David bequemer zurecht, ziehe ihm die Decke bis über den Kopf und lege noch den Kleidersack darauf. Keine allzu gelungene Tarnung, aber besser geht es eben nicht. Ich halte noch einmal an der Bank und löse einen 1000DollarScheck ein. Ich habe keine Ahnung, was Culebra für seine Dienste verlangen wird, aber vielleicht reicht das als Anzahlung.
Dann bin ich auf dem Highway 5 unterwegs gen Süden, zur Grenze. Am Grenzübergang ist mittags viel los. Ich muss eine Stunde warten, aber als ich den Checkpoint erreiche, werde ich mit einem flüchtigen Nicken durchgewunken. Weitere dreißig Minuten, und ich habe Tijuana hinter mir. Ich nehme den Highway 2 und rase Richtung Beso de la Muerte. Tagsüber ist hier mehr Verkehr, aber er wird spärlicher, als ich die Ausfahrt erreiche, und sobald ich auf die unbefestigte Straße zur Geisterstadt einbiege, bin ich allein.
Um Zeit zu sparen, habe ich beschlossen, einfach mitten in den Ort zu fahren, statt David dorthin zu tragen. Es ist sehr still. Der Saloon sieht verlassen aus.
Ich höre keine laute Musik, kein Gelächter oder Stimmen von drinnen. Tagsüber halten sich die Bewohner wohl lieber bedeckt. Ich gehe nicht einmal vom Gas, sondern fahre gleich weiter zur Höhle dahinter. Ich weiß, dass meine Ankunft nicht unbemerkt geblieben ist; mein Vampiralarm klingelt. Ich kann nur hoffen, dass ich Gelegenheit bekomme zu erklären, warum ich hier bin, bevor jemand mich umzubringen versucht.
Ein Mann wartet auf mich, als ich vor dem Höhleneingang halte. Es ist derselbe Mann, den ich bei meinem ersten Besuch hier mit Max’ Boss habe reden sehen. Er trägt auch dieselben Sachen dieselbe verwaschene Jeans, denselben zottigen Poncho. Heute trägt er dazu allerdings noch einen Sombrero aus Stroh und eine teure Ray-Ban-Sonnenbrille, die seine Augen verbirgt. Aus der Nähe sieht er aus wie eine Figur aus einem Western von Sergio Leone. Seine Zähne sind gelb, die Nase krumm, die Falten in seinem Gesicht so tief eingegraben wie Reifenspuren. Er hält eine Armbrust in Händen und hebt sie auf Höhe meiner Brust, sobald ich aus dem Auto steige.
Weiß er, dass ich ein Vampir bin? Ein Lächeln verzieht seine Mundwinkel. »Nicht, bis du es mir eben gesagt hast«, erklärt er. Er hebt die Armbrust leicht an.
»Aber das hier ist eine wirkungsvolle Waffe gegen alle Eindringlinge, sterblich oder untot, findest du nicht?« Sein Akzent ist stark, sein Englisch aber perfekt. Und er hat meine Gedanken gelesen. Aber er ist kein Vampir. Das kann ich spüren. Was bist du?
Wieder dieses Lächeln. Aber keine Antwort. Und ich kann nicht in seine Gedanken vordringen. Egal, ich bin aus einem bestimmten Grund hier und lasse ihn den aus meinem Geist lesen. Alles, bis auf die Identität des Vampirs, der von David getrunken hat. Vermutlich kennt er Avery. Er wirkt überrascht, als er sich meine Gedanken ansieht. »Du sorgst dich um das Wohlergehen eines Sterblichen?«
»Er ist mein Freund. Ich will nicht, dass er stirbt.«
»Und wie, glaubst du, könnte ich ihm helfen?« Ich lasse ihn
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