Nele und die geheimnisvolle Schatztruhe: Band 10 (German Edition)
Das erste Kapitel
beginnt mitten in der Nachtbeweist, dass der Burgherr ganz schön plemplem istlässt Nele siebenmal laut niesenund zeigt, dass Henry ziemlich nett ist
Gib Küsschen!
Es war mitten in der Nacht auf Burg Kuckuckstein. Nele lag eingekuschelt in ihrem Bett und schlief tief und fest.
»Gib Küsschen! Gib Küsschen! Henry, gib Küsschen!«, kreischte eine Stimme hoch oben auf dem Turm.
Nele schnellte aus ihrem Kissen hoch und guckte sich verwirrt um. Es war noch stockdunkel. Nur eine dünne Sichel Mond spendete fahles Licht. Barfuß taperte Nele zum Fenster und guckte hinaus. Nele entdeckte ihren Papa direkt gegenüber. Er steckte seinen zerzausten Haarschopf aus dem Schlafzimmerfenster und schaute in den Himmel.
»Gib Küsschen, Henry!«, krähte die Stimme unbeirrt weiter.
»Halt den Schnabel, du alberner Vogel!«, rief Herr Winter. »Nette Papageien schlafen um diese Zeit.« Er verzog sich brummend zurück ins Bett.
Seit einiger Zeit wohnte Nele Winter mit ihrer ganzen Familie auf Burg Kuckuckstein. Die Burg selber gehörte allerdings einem sehr eigenwilligen Papagei. Dieser hieß nicht nur Plemplem, er war es auch. Jedenfalls ab und zu. Und besonders heute Nacht.
»Henry! Gib Küsschen. Henry, gib Küsschen!«, schrie der Burgherr weiter. Das war ganz typisch für Plemplem. Wenn er sich etwas in sein Köpfchen gesetzt hatte, ließ er nicht so schnell locker.
»Manno!«, stöhnte Nele und hielt sich die Ohren zu. »Der Junge hat einen so tiefen Schlaf wie zehn Murmeltiere.«
Der Junge war Henry.
Henry kam aus Schottland, war ein richtiger Lord und das Patenkind von Neles Großtante Adelheid. Die wiederum hatte den Papagei von Baronin Kuckuckstein geerbt und lebte mit ihrem Mann Edward auch in der Burg. Ganz schön verwirrend, oder?
Henry war seit einer Weile bei den Winters zu Besuch und ging sogar mit Nele in die Schule. Seit Henry seine schicken Lackschuhe in die Burg gesetzt hatte, war der Papagei völlig aus dem Häuschen. So toll fand er den kleinen Lord! Dabei war Plemplem normalerweise der totale Muffel. Wenn er sehr schlecht gelaunt war, spuckte er seine Körner sogar in Neles Müsli.
Bei Henry machte er solchen Unsinn nie. Er saß rund um die Uhr auf seiner Schulter, strich liebevoll seinen Schnabel über Henrys Wange, flötete »Alle meine Entlein« in sein Ohr und fütterte ihn sogar mit seinen heiß geliebten kandierten Walnüssen. Dass er allerdings mitten in der Nacht »Henry, gib Küsschen« kreischte, ging eindeutig zu weit, fand Nele.
Deshalb zog sie sich einen Pullover über ihren Schlafanzug, schlüpfte in ihre Pantoffeln, schnappte sich ihre Taschenlampe und stiefelte los. Beim Hinausgehen warf sie noch einen schnellen Blick in Sammys Körbchen. Auch er war nicht aufgewacht. Bestimmt träumte er, dass er die Mäuse in der Burg ganz mutig herumjagte, denn er knurrte leise im Schlaf.
»Ein schöner Wachhund bist du«, sagte Nele. »Du hörst nicht mal Plemplem.« Sie kraulte liebevoll sein Ohr.
Der Weg bis oben in den Turm zu Henrys Zimmer war ziemlich unheimlich. Leider waren die Batterien ihrer Taschenlampe fast leer, sodass sie sich nur langsam vortasten konnte. Keine der steinernen Stufen war gleich groß und so kam man schnell ins Stolpern.
Auch wenn Nele nicht an Gespenster glaubte – eine winzige Möglichkeit, dass das hauseigene Burggespenst, der alte Graf Kuckuck, plötzlich hinter einer Ritterrüstung hervorsprang, gab es bestimmt. Schließlich war die Burg uralt. Im Keller gab es sogar richtige Verliese. Neles Schuldirektor Herr Zucker hatte ein armdickes Buch über den Burggeist geschrieben und war ganz wild darauf, dass der Geist endlich mal auftauchte. Heute Nacht aber nicht, hoffte Nele. Das Gekrächze von Plemplem vertrieb sicher auch hartgesottene Gespenster.
»Henry, gib Küsschen!«, legte der Papagei nach einer Atempause gerade wieder los.
Nele musste plötzlich kichern. »Graf Kuckuck, gib Küsschen!«, blödelte sie.
Im selben Augenblick gab ihre Taschenlampe endgültig den Geist auf. Nele stand im Dunkeln. Etwas Kaltes berührte ihr Gesicht.
»Ihhh«, schrie Nele. Ihr Herz klopfte wie verrückt. Sie ließ die nutzlose Lampe auf die Stufen fallen und spurtete los. In der Hektik stolperte sie und kippte vornüber. Irgendetwas Spitzes bohrte sich schmerzhaft in ihr Knie. »Aua!«, jaulte sie auf. Auf allen vieren krabbelte sie weiter, bis sie einen schmalen Lichtstreifen sah. Das Licht musste aus Henrys Zimmer kommen. War der Junge doch
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