Anne - 03 - Anne - 03 - Anne, der beste Lebenskamerad
alles das, was ihr gemeinsam habt, das teilt ihr miteinander. Die Freuden und die Schwierigkeiten und die Arbeit hier im Hause.
Eins kann man von euch lernen - auch wir Älteren können lernen. Wir können lernen einzusehen, wie wertvoll es ist, wenn Eheleute Kameraden sind!
Und auf die Kameradschaft möchte ich trinken. Die Kameradschaft zwischen Anne und Jess. Mögt ihr sie euch erhalten, so lange ihr lebt!“
Der Schein der Kerzen funkelte in den Gläsern auf, die jetzt erhoben wurden. „Nun kann das Eis ‘rein, Bärbel“, sagte Frau Arntzen.
„Guckt doch mal die Tracht da - was ist denn das für eine?“
„Das muß ‘ne schwedische sein - nein, halt mal, die ist natürlich norwegisch, ich weiß schon, es wird die Schwiegermutter von Jess Daell sein, siehst du nicht, sie geht ja zusammen mit der jungen Frau Daell.“
„Das ist doch die, die das Handarbeitsgeschäft Norwegische Strickarbeiten’ betreibt?“
„Jaja, natürlich ist es die. Aber sie hat im Geschäft aufgehört.“ „Nein, das ist unmöglich - ich habe doch vorgestern dort noch Fausthandschuhe gekauft.“
„Ja, aber Frau Daell ist nicht mehr ständig da. Seit sie das Kind hat, nicht mehr.“
„Woher weißt du denn das?“
„Meine Mutter wohnt doch im ,Marie-Christine-Haus', meine Gute, und von der hab’ ich es.“
„Sie sieht sehr gut aus, die Frau Daell.“
„Ja, und ob sie das tut. Ich erinnere mich noch an sie, von dem ersten Konzert ihres Mannes vor zwei Jahren. Da waren sie verlobt.“ „Da kommt die Schwiegermutter. Sie wird auch immer jünger.“ „Denk bloß, was das für’n Tag ist für die! Ihr Mann als erster Konzertmeister, und der Sohn als Dirigent.“
„. und Komponist!“
„Pscht.“
Das Raunen im Konzertsaal ebbte ab. Der junge Dirigent kam herein und bestieg das Podium.
Köpfe wurden emporgehoben, Gesichter waren auf Jess gerichtet. Neugierige Gesichter, gespannte und - gelassen abwägende Gesichter, die großen und bekannten und gefürchteten Musikkritiker hatten abwartende Mienen aufgesetzt.
Bei der Leonorenouvertüre nickten sie anerkennend. O ja. Nicht schwer zu hören, daß der junge Daell bei dem Maestro Martiani gewesen war. Man durfte allerlei von ihm erhoffen.
Jess dirigierte sicher und ohne Nervosität. Die erfahrenen alten Musiker konnten nicht umhin, seinen glücklichen Gesichtsausdruck zu bemerken - er war gespannt, ohne verkrampft zu sein, er war gesammelt, ohne verbissen zu sein.
Die Ouvertüre wurde mit ausgesprochenem Wohlgefallen aufgenommen.
„Haydn dirigiert er auch ohne Partitur!“ flüsterte man sich zu, als das Dirigentenpult nach wie vor schwarz und leer zwischen Jess und dem Orchester stand.
Die Spannung im Konzertsaal wuchs. Mit sicherem Gehör, mit sicherem Taktstock und mit weichen, ruhigen Bewegungen der schlanken Linken nahm Jess das Orchester mit in seine Welt hinein, in seine Auffassung von Haydn.
Und das Orchester gab seinen künstlerischen Willen in vollen, brausenden Tönen wieder, aus einem Resonanzboden, so vibrierend empfindsam wie bei der edelsten Violine.
Selten hatte man einen Konzertmeister erlebt, der eine so starke Verbindung mit dem Dirigenten hatte. Zwischen den beiden herrschte ein unerklärbares, nie versagendes Einverständnis.
Das Wohlgefallen der Zuhörer nahm zu. Der Beifall war warm und herzlich und hielt lange an.
In der Pause schweiften viele Blicke zu den drei Menschen in der vordersten Loge hinüber, zu der jungen Frau Daell, die zwischen ihrer Mutter und ihrer Schwiegermutter saß.
Dann stieg Jess zum drittenmal aufs Podium. Jung und ernst, von einem gesammelten Willen beherrscht, und voll von jubelnder Schöpferfreude.
Zum ersten Mal erklang die Symphonie Nummer eins c-Moll von Jess Daell in einem dichtbesetzten Konzertsaal.
Aufrecht und schlank und sicher stand der Dirigent auf seinem Podium, und er legte seine ganze Seele, seine ganze Schöpferfreude, seine ganze Kraft als schaffender und nachschaffender Musiker in dies Spiel - das er auf dem schönsten von allen Instrumenten spielte: dem lebendigen Orchester.
Der letzte Akkord brauste auf, schwoll an, erfüllte den Raum -und dann folgte die letzte, kurze, kleine Handbewegung, und Jess legte den Taktstock nieder.
Er stand einen Augenblick ganz still. Dann rauschte der Beifall hinter seinem Rücken, und er wandte sich um - bleich, aber mit leuchtenden Augen.
Er verneigte sich, verneigte sich abermals - dann richtete er sich auf, drehte sich um und reichte dem Konzertmeister
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