Anni und Alois - Arm sind wir nicht: Ein Bauernleben (German Edition)
zuschneit und am nächsten Morgen die gleiche Prozedur von vorn losgeht. Aufhören, Pause machen, krank sein gibt es nicht in der kalten Jahreszeit für Anni und Alois.
»Wenn er brennen täte, dann würde ich ihn anzünden«, sagt die Anni wild entschlossen. Seit Stunden schaufelt sie mit voller Kraft auf einen stetig wachsenden Haufen. Mit dem Anzünden – so lacht sie – meint sie natürlich nicht ihren Ehemann Alois, sondern ihren Hauptfeind: den ewigen, immerwährenden Schnee. Einen Meter fünfzig hoch liegt er heuer schon und nur auf schmalen Wegen können die beiden noch zum Hühnerstall oder zu ihrem Traktor kommen.
»Das Schlimmste ist der Pulverschnee«, erklärt uns Anni, die Expertin. »Wenn dann der Ostwind kommt, treibt es ihn von den Dächern runter, bläst ihn rund um das Haus und dann können wir gar nicht mehr aus den Fenstern schauen.« Dabei sieht man doch, wenn der Himmel klar ist, von ihrem Wohnzimmer aus fast alle Bayerwaldberge, den Rachel, den Lusen, den Arber – ihre Heimat.
Mehr als ein halbes Jahrhundert leben Anni und Alois Sigl schon hier, in einem kleinen alten Einödhof am Rande des Dorfes Innernzell im vorderen Bayerischen Wald. In dem bescheidenen Haus haben sie ihre vier Söhne großgezogen, Anni hat hier ihre Schwiegermutter bis zu deren Tode gepflegt und dabei haben Anni und Alois fast nie etwas verändert an ihrem Heim. Bis heute haben sie kein Bad, keine Toilette, keine Heizung und keine gepflasterten Wege. Aber trotzdem sind sie zufrieden damit, wie es ist. Auch ohne Auto, ohne Urlaub und mit den 550 Euro Rente, die sie im Monat bekommen.
Auf einem Zettel rechnet die Anni ihre finanzielle Lage durch. Und ihr Einmaleins der Bescheidenheit ergibt: 500 Euro brauchen die beiden monatlich für Telefon, Fernseher, Strom, Versicherungen und für ihre Lokalzeitung. So verbleiben nur noch klägliche 50 Euro für Kleidung und Essen. Wie gut, dass Anni vieles selbst anbaut und eine große Vorratshaltung betreibt. Fleisch, Kartoffeln, Äpfel, Nüsse – alles findet man in Annis großen Gefriertruhen oder Vorratsräumen. Sogar den Tabak für ihren Alois baut die resolute Bäuerin im Sommer selbst im Gemüsebeet an. Ihr sanftmütiger Ehemann raucht eben gern und verbieten würde es ihm die Anni nie. Auch wenn die Tabakpflanzen im Garten schon ein seltsamer Anblick sind – eine Lösung à la Anni, die Pflanzen und Tiere liebt und ein Händchen für sie hat.
Doch von November bis April kann Anni nur von ihren wunderbaren Blumen und ihrem üppigen Gemüsebeet träumen: »Im Bayerischen Wald gibt es ein Sprichwort: ›Ein Dreivierteljahr Winter, ein Vierteljahr kalt‹«, das ist eines von Annis Lieblingszitaten. Immer wieder kann sie sich über diesen absurden Spruch amüsieren. Seit Stunden steht sie nun schon mit ihrem Alois draußen, um den Neuschnee auf die Seite zu räumen. Der Schnee ist jedes Jahr eine Heimsuchung für Anni und Alois. Manchmal fällt sie schlimmer aus, manchmal etwas weniger schlimm. Jeder Wetterbericht ist für die beiden im Winter ein kleiner Krimi – Ausgang ungewiss.
»Uns schneit es nicht ein«, erklärt die Anni resolut und sticht dabei besonders tief und energisch in die weiße Masse hinein. »Wir kommen durch, wir sind das gewohnt«, sagt sie und lacht zum Alois rüber. »Ja, da kann man nix machen, wenn es so viel Schnee herhaut«, meint der noch gottergeben. Die alten Leute sind nicht verzweifelt und wenn sie es wären, sie würden es nicht zugeben. Jammern, das hat noch keinem geholfen. Selbst die Anni, die schon mehrere Bandscheibenvorfälle hatte, sagt nur einsilbig: »Das geht schon ins Kreuz.« Manchmal kommt sie am Abend gekrümmt daher wie ein Fragezeichen.
Eines der schlimmsten Schneejahre, an das beide sich erinnern können, war 2006. »Da ist sogar die Feuerwehr am Silvesterabend gekommen und hat uns die Dächer freigeschaufelt«, berichtet die Anni. Drei Meter hoch war damals der Schnee. Und auch Anni und Alois sind an diesem unvergesslichen Abend mit aufs Dach gestiegen, um zu helfen. Alois tief vermummt mit dickem Anorak, Handschuhen und Mütze – die rührige Anni nur mit ihrer Schürze und nackten Armen. Stunde um Stunde kämpften sie dort oben gegen den Jahrhundertschnee. Schaulustige standen rund um ihr Haus und beobachteten die alten Leute, wie sie mit ihrem ungeheuren Willen gegen den weißen Feind angingen. »Dich erfriert es dort oben am Dach noch«, schrie damals eine Frau aus dem Dorf gehässig zu der leicht bekleideten Anni
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