Anni und Alois - Arm sind wir nicht: Ein Bauernleben (German Edition)
über fünfzig Jahre lang den Christbaum schmücken. »Wir sind das so gewohnt«, sagt er leise vor sich hin. Die Anni kniet schon vor dem Winzling, um ihn zu behängen. Selbst an Weihnachten ist sie der Motor, der alles in Bewegung hält. Silbern und blau schmückt sie den Baum. Die Kerzen, die sie aufsteckt, haben schon das vierte Weihnachten überlebt, weil sie nie runterbrennen dürfen. Etwas kläglich sieht das fast fertige Christbäumchen schon aus.
Und weil sich das Jahr nun bald dem Ende zu neigt, fängt die Anni beim Schmücken zu resümieren an: »Für uns war es heuer ein gutes Jahr«, sagt sie zufrieden. »Unser Obst ist schön geworden, anderswo hat es alles verhagelt.« Gewitter und Schnee haben sie diesmal verschont, aber wer weiß, wie es nächstes Jahr wird. Auf jeden Fall bringt es nichts – so wissen Anni und Alois –, sich gegen das Schicksal aufzulehnen oder zu viel zu erwarten. »Wünschen hilft eh nichts«, sagt die Anni und steckt ihre halb abgebrannten Kerzen auf das Bäum chen. Nur wenn man keine Wünsche hat, dann kann es, so glaubt die Anni, »kommen, wie man es mag«.
Gottergeben und zufrieden, so kommt man am weitesten. Das haben die Sigls in ihrem langen Leben gelernt, das ist ihre Weisheit. Das Märchen vom Fischer und seiner Frau, das kennen sie auch hier im Bayerischen Wald. Immer mehr haben, mehr ausgeben und unzufrieden sein – das ist die Krankheit unserer Zeit, da machen sie nicht mit. »Mit der Geldausgeberei habe ich es nicht«, sucht die Anni einen Platz für die letzte Kerze, »mir reicht das, wenn ich Weihnachtslieder höre, mehr brauche ich nicht.« Der Alois betrachtet genau ihr etwas liebloses Werk und sagt: »Nein, uns langt das, was wir haben. Arm sind wir nicht.«
Stück für Stück dekoriert Anni das letzte Lametta. Schnell, aber akkurat. Zum Schluss dreht und wendet sie das geschmückte Bäumchen. »Der steht aber nicht gerade«, kritisiert der Alois vom Sofa aus. »Und die Kerzen hängen so schräg«, sagt er noch. »Da kann ich dir auch nicht helfen«, antwortet die Anni lapidar, aber nicht böse. Vom Alois lässt sie sich nicht dreinreden, wo kämen wir da hin. »Für heuer passt er«, verkündet sie dann. Entschlossen packt sie den kleinen Baum – und ab damit auf das alte Holzschränkchen! Die Anni hat schließlich Wichtigeres zu tun. Die Hühner schreien, das neue Jahr ruft, daran ändert auch Weihnachten nichts. Aber auch gar nichts.
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