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Ansichten eines Clowns

Ansichten eines Clowns

Titel: Ansichten eines Clowns Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinrich Böll
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fleischliche Verlangen nennen! Hören Sie noch?«
    »Ich höre«, sagte er, »und staune. Sie werden recht drastisch, Schnier.«
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    »Verflucht noch mal, Prälat«, sagte ich, »der Vorgang, der zur Zeugung eines Kindes führt, ist eine ziemlich drastische Sache - wir können uns auch, wenn es Ihnen lieber ist, über den Klapperstorch unterhalten. Alles, was über diese drastische Sache gesagt, gepredigt und gelehrt wird, ist Heuchelei. Ihr haltet im Grunde eures Herzens diese Sache für eine aus Notwehr gegen die Natur in der Ehe legitimierte Schweinerei -
    oder macht euch Illusionen und trennt das Körperliche von dem, was außerdem noch zu der Sache gehört - aber gerade das, was außerdem dazu gehört, ist das
    Komplizierte. Nicht einmal die Ehefrau, die ihren Eheherrn nur noch erduldet, ist nur Körper - und nicht der dreckigste Trunkenbold, der zu einer Dirne geht, ist nur Körper, sowenig wie die Dirne. Ihr behandelt diese Sache wie eine Sylvesterrakete -
    und sie ist Dynamit.«
    »Schnier«, sagte er matt, »ich bin erstaunt, wieviel Sie über die Sache nachgedacht haben.«
    »Erstaunt«, schrie ich, »Sie sollten erstaunt sein über die gedankenlosen Hunde, die ihre Frauen einfach als rechtmäßigen Besitz betrachten. Fragen Sie Monika Silvs, was ich den Mädchen damals darüber gesagt habe. Seitdem ich weiß, daß ich männlichen Geschlechts bin, habe ich fast über nichts so sehr nachgedacht - und das erstaunt Sie?«
    »Ihnen fehlt jede, aber auch die geringste Vorstellung von Recht und Gesetz. Diese Dinge - wie kompliziert sie auch sein mögen - müssen doch geregelt werden.«
    »Ja«, sagte ich, »von euren Regeln habe ich ein bißchen mitbekommen. Ihr schiebt die Natur auf ein Gleis, das ihr Ehebruch nennt - wenn die Natur in die Ehe
    einbricht, bekommt ihr es mit der Angst zu tun. Gebeichtet, verziehen, gesündigt -
    und so weiter. Alles gesetzlich geregelt.«
    Er lachte. Sein Lachen klang gemein. »Schnier«, sagte er, »ich merke schon, was mit Ihnen los ist. Offenbar sind Sie so monogam wie ein Esel.«
    »Sie verstehen nicht einmal etwas von Zoologie«, sagte ich, »geschweige denn vom homo sapiens. Esel sind gar nicht
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    monogam, obwohl sie fromm aussehen. Bei Eseln herrscht vollkommene
    Promiskuität. Raben sind monogam, Stichlinge, Dohlen und manchmal Nashörner.«
    »Marie offenbar nicht«, sagte er. Er mußte wohl gemerkt haben, wie mich dieser kleine Satz traf, denn er fuhr leise fort: »Tut mir leid, Schnier, ich hätte es Ihnen gern erspart, glauben Sie mir das?«
    Ich schwieg. Ich spuckte den brennenden Zigarettenstummel auf den Teppich, sah, wie die Glut sich verteilte, kleine, schwarze Löcher brannte. »Schnier«, rief er flehend,
    »glauben Sie mir wenigstens, daß ichs Ihnen nicht gern sage.«
    »Ist es nicht gleichgültig«, sagte ich, »was ich Ihnen glaube? Aber bitte: ich glaubs Ihnen.«
    »Sie sprachen eben soviel von Natur«, sagte er, »Sie hätten Ihrer Natur folgen, hinter Marie herreisen und um sie kämpfen sollen.«
    »Kämpfen«, sagte ich, »wo steht das Wort in euren verdammten Ehegesetzen.«
    »Es war keine Ehe, was Sie mit Fräulein Derkum führten.«
    »Gut«, sagte ich, »meinetwegen. Keine Ehe. Ich habe fast jeden Tag mit ihr zu
    telefonieren versucht und ihr jeden Tag geschrieben.«
    »Ich weiß«, sagte er, »ich weiß. Jetzt ist es zu spät.«
    »Jetzt bleibt wohl nur der offene Ehebruch«, sagte ich.
    »Sie sind dessen unfähig«, sagte er, »ich kenne Sie besser als Sie glauben, und Sie mögen schimpfen und mir drohen, soviel Sie wollen, ich sags Ihnen, das Schreckliche an Ihnen ist, daß Sie ein unschuldiger, fast möchte ich sagen, reiner Mensch sind.
    Kann ich Ihnen helfen ... ich meine ...«
    Er schwieg. »Sie meinen mit Geld«, fragte ich.
    »Auch das«, sagte er, »aber ich meinte beruflich.«
    »Ich komme vielleicht drauf zurück«, sagte ich, »auf beides, das Geld und das
    Berufliche. Wo ist sie denn?«
    Ich hörte ihn atmen, und in der Stille roch ich zum erstenmal etwas: ein mildes Rasierwasser, ein bißchen Rotwein,
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    auch Zigarre, aber schwach. »Sie sind nach Rom gefahren«, sagte er.
    »Flitterwochen, wie ?« fragte ich heiser.
    »So nennt man's«, sagte er.
    »Damit die Hurerei komplett wird«, sagte ich. Ich legte auf, ohne ihm Danke oder auf Wiedersehen zu sagen. Ich blickte auf die schwarzen Pünktchen, die die
    Zigarettenglut im Teppich gebrannt hatte, aber ich war zu müde, drauf zu treten und sie ganz zum Verlöschen zu bringen.

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