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Ansichten Eines Clowns

Ansichten Eines Clowns

Titel: Ansichten Eines Clowns Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinrich Boll , Heinrich Böll
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sagte, diese »Dinger« - sie sprach dabei sehr hübsch die
    Anführungszeichen - hießen Konvikte, und sie gab mir die Nummern von beiden. Die
    stimme am Telefon hatte mich ein bißchen getröstet. Sie hatte so natürlich geklungen, nicht prüde, nicht kokett, und sehr rheinisch. Es gelang mir sogar, die Telegrammaufnahme zu bekommen und das Telegramm an Karl Emonds aufzugeben. Es ist mir immer unverständlich gewesen, warum jedermann, der für intelligent gehalten werden möchte, sich bemüht, diesen Pflichthaß auf Bonn auszudrücken. Bonn hat immer gewisse Reize gehabt, schläfrige Reize, so wie es Frauen gibt, von denen ich mir vorstellen kann, daß ihre Schläfrigkeit Reize hat. Bonn verträgt natürlich keine Übertreibung, und man hat diese Stadt übertrieben. Eine Stadt, die keine Übertreibung verträgt, kann man nicht darstellen: immerhin eine seltene Eigenschaft. Es weiß ja auch jedes Kind, daß das Bonner Klima ein Rentnerklima ist, es bestehen da Beziehungen zwischen Luft- und Blutdruck. Was Bonn überhaupt nicht steht, ist diese defensive Gereiztheit: ich hatte zu Hause reichlich Gelegenheit, mit Ministerialbeamten, Abgeordneten, Generalen zu sprechen - meine Mutter ist eine Partytante -, und sie alle befinden sich im Zustand gereizter, manchmal fast weinerlicher Verteidigung. Sie lächeln alle so verquält ironisch über Bonn. Ich verstehe dieses Getue nicht. Wenn eine Frau, deren Reiz ihre Schläfrigkeit ist, anfinge, plötzlich wie eine Wilde Can-Can zu tanzen, so könnte man nur annehmen, daß sie gedopt wäre - aber eine ganze Stadt zu dopen, das gelingt ihnen nicht. Eine gute alte Tante kann einem beibringen, wie man Pullover strickt, Deckchen häkelt und Sherry serviert - ich würde doch nicht von ihr erwarten, daß sie mir einen zweistündigen geistreichen und verständnisvollen Vortrag über Homosexualität hält oder plötzlich in den Nutten-Jargon verfällt, den alle in Bonn so schmerzlich vermissen. Falsche Erwartungen, falsche Scham, falsche Spekulation auf Widernatürliches. Es würde mich nicht wundern, wenn sogar die Vertreter des Heiligen Stuhls anfingen, sich über Nuttenmangel zu beklagen. Ich lernte bei einer
    der Parties zu Hause einmal einen Parteimenschen kennen, der in einem Ausschuß zur
    fung der Prostitution saß und sich bei mir flüsternd über den Nuttenmangel in Bonn beklagte. Bonn war vorher wirklich nicht so übel mit seinen vielen engen Gassen, Buchhandlungen, Burschenschaften, kleinen Bäckereien mit einem Hinterzimmer, wo man Kaffee trinken konnte.
    Bevor ich Leo anzurufen versuchte, humpelte ich auf den Balkon, um einen Blick auf meine Heimatstadt zu werfen. Die Stadt ist wirklich hübsch: das Münster, die Dächer des ehemaligen kurfürstlichen Schlosses, das Beethovendenkmal, der kleine Markt und der Hofgarten. Bonns Schicksal ist es, daß man ihm sein Schicksal nicht glaubt. Ich atmete in vollen Zügen oben auf meinem Balkon die Bonner Luft, die mir überraschenderweise wohltat: als Luftveränderung kann Bonn für Stunden Wunder wirken.
    Ich ging vom Balkon weg, ins Zimmer zurück und wählte, ohne zu zögern, die Nummer des Dings, in dem Leo studiert. Ich war bange. Seitdem er katholisch geworden ist, habe ich Leo noch nicht gesehen. Er hat mir die Konversion auf seine kindlich korrekte Art mitgeteilt: »Lieber Bruder«, schrieb er, »teile ich Dir hierdurch mit, daß ich nach reiflicher Überlegung zu dem Entschluß gekommen bin, zur katholischen Kirche überzutreten und mich auf den Priesterberuf vorzubereiten. Gewiß werden wir bald Gelegenheit haben, uns mündlich über diese entscheidende Veränderung in meinem Leben zu unterhalten. Dein Dich liebender Bruder Leo.« Schon die altmodische Art, wie er krampfhaft versucht, den Brief beginn mit Ich zu umgehen; statt: ich teile Dir mit, teile ich Dir mit, schreibt - das war ganz Leo. Nichts von der Eleganz, mit der er Klavier spielen kann. Diese Art, alles geschäftsmäßig zu erledigen, steigert meine Melancholie. Wenn er so weitermacht, wird er einmal ein edler, weißhaariger Prälat. In diesem Punkt - im Briefstil - sind Vater und Leo gleich hilflos: sie schreiben über alles, als ob es um Braunkohle ginge.
    Es dauerte lange, ehe sich in dem Ding jemand bequemte, ans Telefon zu kommen,
    liche Schlamperei, meiner Stimmung entsprechend, mit harten Worten zu brandmarken, sagte »Scheiße«, da hob dort jemand den Hörer ab, und eine überraschend heisere Stimme sagte: »Ja?« Ich war enttäuscht. Ich hatte mit

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