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Ansichten Eines Clowns

Ansichten Eines Clowns

Titel: Ansichten Eines Clowns Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinrich Boll , Heinrich Böll
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neben ihr saß, versucht, sie bei den Armen oder bei den Schultern zu packen, oder an den Beinen, um festzustellen, ob sie nicht doch eine Puppe war. Alles, was sie zur Konversation beitrug, bestand aus zwei Ausdrücken »Ach, wie hübsch« und »Ach, wie scheußlich«. Ich fand sie erst
    langweilig, war aber dann fasziniert und erzählte ihr allerlei, so wie man Gro-
    sehen in einen Automaten wirft - nur um herauszubekommen, wie sie reagieren würde. Als ich ihr erzählte, meine Großmutter sei gestorben - was gar nicht stimmte, denn meine Großmutter war schon vor zwölf Jahren gestorben - sagte sie: »Oh, wie scheußlich«, und ich finde, man kann, wenn jemand stirbt, viel Dummes sagen, aber
    »oh, wie scheußlich« nicht. Dann erzählte ich ihr, daß ein gewisser Humeloh (den es gar nicht gab, den ich rasch erfand, um etwas Positives in den Automaten zu schmeißen), den Ehrendoktor bekommen habe, sie sagte: »Oh, wie hübsch«. Als ich ihr dann erzählte, daß mein Bruder Leo konvertiert sei, zögerte sie einen Augenblick
und dieses Zögern erschien mir fast wie ein Lebenszeichen; sie sah mich mit ihren sehr großen, leeren Puppenaugen an, um herauszufinden, in welche Kategorie für mich dieses Ereignis gehöre, sagte dann: »Scheußlich, was?«; es war mir immerhin gelungen, ihr eine Ausdrucks-Variation abzuringen. Ich schlug ihr vor, doch die beiden Ohs einfach wegzulassen, nur noch hübsch und scheußlich zu sagen; sie kicherte, legte mir noch Spargel nach und sagte dann erst: »Oh, wie hübsch«. Schließlich lernten wir an diesem Abend auch noch das »ein Kinder« kennen, einen fünfjährigen Bengel, der so, wie er war, im Werbefernsehen als Kind hätte auftreten können. Dieses Zahnpastagetue, gute Nacht, Pappi, gute Nacht, Mammi, ein Diener vor Marie, einer vor mir. Ich wunderte mich, daß das Werbefernsehen ihn noch nicht entdeckt hat. Später, als wir Kaffee und Kognak am Kamin tranken, sprach Herbert von der großen Zeit, in der wir leben. Er holte dann noch Sekt und wurde pathetisch. Er bat mich um Verzeihung, kniete sogar nieder, um mich um eine, wie er es nannte, »säkularisierte Absolution« zu bitten — und ich war drauf und dran, ihn einfach in den Hintern zu treten, nahm aber dann ein Käsemesser vom Tisch und schlug ihn feierlich zum Demokraten. Seine Frau rief: »Ach, wie hübsch«, und ich hielt, als Herbert sich gerührt wieder hinsetzte, einen Vortrag über die jüdischen
    Yankees. Ich sagte, man habe eine Zeitlang geglaubt, der Name Schnier, mein
    Name, habe mit schnorren zu tun, aber es sei nachgewiesen, daß er von Schneider, Schnieder abzuleiten sei, nicht von schnorren, und ich sei weder Jude noch Yankee, und doch - und dann ohrfeigte ich Herbert ganz plötzlich, weil mir einfiel, daß er einen unserer Schulkameraden, Götz Buchel, gezwungen hatte, den Nachweis seiner arischen Abstammung zu erbringen, und Götz war in Schwierigkeiten geraten, weil seine Mutter eine Italienerin war, aus einem Dorf in Süditalien - und über deren Mutter dort etwas herauszukriegen, was auch nur annähernd einem arischen Nachweis ähnlich war, erwies sich als unmöglich, zumal das Dorf, in dem Götz' Mutter geboren war, um diese Zeit schon von den jüdischen Yankees besetzt war. Es waren peinliche, lebensgefährliche Wochen für Frau Buchel und Götz, bis Götz' Lehrer auf die Idee kam, einen von den Rassespezialisten der Bonner Universität zu einem Gutachten zu bewegen. Der stellte fest, daß Götz »rein, aber auch vollkommen rein westisch« sei, aber Herbert Kalick brachte dann den Unsinn auf, alle Italiener wären Verräter, und Götz hatte bis Kriegsende keine ruhige Minute mehr. Das fiel mir ein, während ich den Vortrag über die jüdischen Yankees zu halten versuchte - und ich knallte Herbert Kalick einfach eine ins Gesicht, schmiß mein Sektglas ins Kaminfeuer, das Käsemesser hinterdrein und zog Marie am Arm hinter mir her, hinaus. Wir konnten da oben kein Taxi bekommen und mußten zu Fuß gehen, eine ganze Weile, bis wir zur Busstation kamen. Marie weinte und sagte die ganze Zeit über, es sei unchristlich und unmenschlich von mir gewesen, aber ich sagte, ich sei kein Christ und mein Beichtstuhl sei noch nicht geöffnet. Sie fragte mich auch, ob ich denn an seiner, Herberts, Wandlung zum Demokraten zweifle, und ich sagte: »Nein, nein, ich zweifle ja gar nicht dran - im Gegenteil - aber ich mag ihn einfach nicht und werde ihn nie mögen.«
    Ich schlug das Telefonbuch auf und suchte Kalicks

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