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Ansichten eines Hausschweins - Neue Geschichten ueber alte Probleme

Ansichten eines Hausschweins - Neue Geschichten ueber alte Probleme

Titel: Ansichten eines Hausschweins - Neue Geschichten ueber alte Probleme Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Harald Martenstein
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Besserverdienenden müssen stärker herangezogen werden, weil sie starke Schultern haben und mitverantwortlich sind für die Krise.«
    Der Durchschnittsverdienst in Deutschland beträgt etwa dreitausend Euro brutto im Monat. Ich gebe zu: Ich habe mehr als das. Ich schwöre aber, bei allem, was mir heilig ist, dass ich mit der verdammten Krise nichts zu tun habe. Ich war das nicht.
    Ich frage mich, wie dieser Herr Pronold, den ich persönlich überhaupt nicht kenne, dazu kommt, mir eine solche Ungeheuerlichkeit wie die Mitschuld an einer Weltwirtschaftskrise mit Zehntausenden ruinierter Existenzen zu unterstellen. Was habe ich diesem Mann getan? Ich habe ehrlich gearbeitet, ist das so schlimm, habe Steuern gezahlt wie das Tier, Steuern, von denen unter anderem dieser Pronold gemästet wird, habe auch gespendet wie Mutter Teresa, habe sogar gesagt, ich Vollidiot, dass an der SPD nicht alles schlecht ist. Zum Dank tritt mir jetzt Florian Pronold vor allen Leuten achtkantig in den Hintern. Bin ich Hitler? Bin ich an allem schuld?
    Pronold ist Politiker, nicht ich. Er hätte doch, als Politiker, ganz andere Möglichkeiten gehabt, die Krise zu verhindern oder zu sparen, als die Wirtschaft noch rund gelaufen ist. Was hat er gemacht? Maulaffen feilgehalten. Was tut er jetzt? Ehrliche Leute beleidigen.
    Wenn er wenigstens gesagt hätte: »Einige Besserverdienende sind mitverantwortlich für die Krise. Deswegen sollen jetzt alle Besserverdienenden Strafsteuern zahlen. Weil, wenn eine Person aus Daglfing Hühner stiehlt, dann sperren wir von der SPD alle Daglfinger ins Gefängnis, das ist gerecht im Sinne von August Bebel.«
    Florian Pronold will doch nur von seinem eigenen Versagen ablenken, indem er mich beschuldigt, mich, und das macht mich langsam echt sauer. Florian Pronold muss stärker herangezogen werden. Sie sollen ihn heranziehen, schön langsam und gründlich, bis er quietscht.
    Besserverdiener, das ist für Leute wie diesen Pronold das schlimmste Schimpfwort überhaupt. Ja, schau mal, der Typ da arbeitet, jeden Tag, kriegt keine Kohle vom Staat, wie sonst doch jeder anständige Mensch, arbeitet auch noch ganz gut, kriegt Geld dafür, dieser Sozialschädling, dieser Depp, macht unsere ganze schöne Wirtschaft kaputt mit seiner Scheißarbeiterei. Nehmt ihm schnell alles weg!
    Und falls er Kinder hat, der Pronold, dann zittert er Tag für Tag, dass seine Kinder bloß nicht mal eines Tages Besserverdiener werden. Das ist ja offenbar die größte denkbare Schande für einen SPD -Finanzexperten, ein besserverdienender Sohn oder eine Tochter, die Wirtschaftskrisen und Arbeitslosigkeit und Staatsbankrotte auslösen mit ihrer unverschämten Besserverdienerei und ihrer Leistungsneurose, statt brav Hartz IV zu kriegen und auf diese Weise die Wirtschaft in Schwung und den Staat in die grünen Zahlen zu bringen.
    Wenn die Pronold-Kinder gute Schulnoten nach Hause bringen, dann sperrt er sie womöglich in den Keller, weil, gute Noten, das kann ja in letzter Konsequenz zu extremster Besserverdienerei führen und damit zu Weltwirtschaftskrisen von apokalyptischem Ausmaß.
    Ich möchte einmal, wenigstens einmal im Leben auch mal was Nettes über Besserverdienende hören. Zum Beispiel: »Ohne Besserverdienende könnten wir Politiker uns keinen einzigen Dienstwagen leisten.«

Über Bewerbungen
    Ein paar Jahre lang bin ich, zusammen mit einem Kollegen, für die Auswahl der einzustellenden Auszubildenden zuständig gewesen.
    Da gab es zum Beispiel die Bewerbung eines jungen Menschen, der in Oxford und Harvard studiert hatte. Oxford allein ist ihm offenbar zu popelig gewesen. Er war zweifach promoviert, außerdem hatte er Praktika bei der New York Times und bei Le Monde hinter sich, beherrschte angeblich fünf Fremdsprachen fließend und verwies auf mehrere Hochbegabtenstipendien. In seiner Freizeit hatte er die deutsche Vizemeisterschaft im Kitesurfen gewonnen. Dies alles im Alter von siebenundzwanzig Jahren.
    Bei der Lektüre der Bewerbung bin ich mir durchschnittlich, faul, überbezahlt, dumm, dumpf und ehrgeizlos vorgekommen. Ich sagte: »Falls wir ihn einstellen, wird er in spätestens zehn Jahren Chefredakteur sein. Dumme, dumpfe Leute wie uns wird er dann zweifellos entlassen. Falls er aber in zehn Jahren nicht Chefredakteur ist, wird er im ganzen Haus schlechte Laune verbreiten. Leuten wie uns wird es dann hier nicht mehr gefallen.«
    Wir sortierten die Bewerbung aus. So ein Typ wird überall genommen, dachten wir, nur halt bei

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