Ansichten eines Hausschweins - Neue Geschichten ueber alte Probleme
letzten zwanzig Jahren politisch echt überhaupt nichts begriffen.
Aber wir hatten uns ja beim letzten Mal darauf geeinigt, dass jeder einen konkreten Vorschlag zur Verbesserung unserer gesellschaftlichen Situation macht. Meine Idee ist, dass der stern, der Spiegel oder vielleicht sogar die ZEIT einen Titel macht mit lauter Prominentenfotos und der Schlagzeile: »Ich schnarche!« Man sieht, sagen wir mal, Karl-Theodor zu Guttenberg, Sabine Christiansen, Götz George, Bill Kaulitz, Regina Halmich, den Kannibalen, wie heißt er gleich…
Gemurmel.
Warum denn nicht auch den Kannibalen? Die Botschaft heißt doch: Es kann jeden treffen. Es ist kein Charaktermerkmal, weder positiv noch negativ. So kommen wir aus der Schweigespirale heraus. Na gut, Schweigespirale klingt vielleicht nicht gut. Ich habe Kontakte zur Presse, ich kenne Leute. Ich glaube, ich kriege das hin.
Über Schnecken
Im Sommer hatte ich im Garten eine Schneckenplage. Die Schnecken versteckten sich die meiste Zeit unter einem Steinhaufen. Sie waren kein Gegner, der sich offen zum Kampf stellt. Sie waren ein Gegner, der frühmorgens, wenn man noch schläft, aus finsteren, feuchten Ritzen herauskriecht und über ein geheimnisvolles Gespür für die Lebensgewohnheiten des jeweiligen Gartenbesitzers verfügt. Sie ziehen sich zurück, sobald man aufsteht. Sie hören irgendwie das Rascheln der Bettdecke oder das Blubbern der Kaffeemaschine.
Egal, ob ich um sieben aufstehe oder um neun, ich sehe immer nur noch die Letzten von ihnen, die selbstzufrieden und fett wieder in ihr Versteck zurückkriechen, rote, schleimige Viecher, die kaputt machen, was man sich über Jahre mühsam aufgebaut hat.
Ich habe, noch im Halbschlaf, aus der Küche Zahnstocher geholt und die Schnecken, die ich erwischen konnte, auf den Zahnstochern aufgespießt. Ein Zahnstocher bietet Platz für drei bis vier Schnecken. Wenn der Zahnstocher voll war, habe ich ihn mitsamt den sich windenden, zuckenden Schnecken in eine gusseiserne Schale geworfen, die ich eigentlich zum Feuermachen gekauft hatte. Mithilfe der gusseisernen Schale und eines darin prasselnden Feuerchens wollte ich es mir an kühlen Sommerabenden draußen im Garten gemütlich machen. Egal, das ist mir alles egal. Als die Zahnstocher alle waren, habe ich den Grillspieß genommen. Auf den Grillspieß passten bis zu acht Schnecken.
Ich lief in den folgenden Wochen nach dem Aufstehen durch den Garten, Morgen für Morgen, jawohl, im Schlafanzug, jawohl, noch vor dem Kaffee, denn sie hören das Blubbern der Maschine, und spießte erst einmal Schnecken auf.
Sagen Sie ruhig, was Sie denken! Ich weiß es doch sowieso.
Ich bin nicht grausam. Ich bin öko. Soll ich die Schnecken vergiften? Gift, das finden Sie wirklich besser? Ich bin die Natur. Die Natur ist, vom Standpunkt eines Moralisten gesehen, grausam. Wie fühlt sich denn die Gazelle, wenn ein Löwe sie anspringt? Verurteilen Sie den Löwen etwa auch, moralisch gesehen? Der Löwe will leben. Ich will ebenfalls leben. Es sind meine Zucchini, meine Cocktailtomaten und meine Kürbisse, über die wir hier reden.
Ich verschone die Weinbergschnecken. Ich mag Weinbergschnecken. Es gibt auch nur wenige von ihnen in meinem Garten. Ich habe einen Marker gekauft und habe die Häuser der Weinbergschnecken nummeriert. Schnecke eins, Schnecke zwei, Schnecke drei. Damit ich ihr Revierverhalten studieren kann. Das ist eine andere Facette meines Wesens – Wissensdurst. Und Gerechtigkeit. Wer seine Sexualität im Griff hat und sich nur maßvoll vermehrt, hat von mir nichts zu befürchten.
Im folgenden Sommer gab es nur wenige Schnecken. Es gab aber viele Stechinsekten. Ich habe bei Rossmann ein Gerät gekauft, für drei Euro neunundneunzig, das wie ein Tennisschläger aussieht. Die Bespannung des Schlägers ist allerdings elektrisch, sie steht unter Strom, sobald ich auf diesen Knopf drücke, der sich am Griff des Tennisschlägers befindet. Wenn ein Insekt die Bespannung berührt, stirbt es durch Stromschlag. Man hört ein leichtes Brutzeln, ähnlich wie beim Grillen.
Ich laufe durch meinen Garten, morgens, jawohl, im Schlafanzug, und schlage wild in die Luft hinein, ich grille Stechmücken und Pferdebremsen. Hunderte. Wie im Rausch. Niemals Schmetterlinge, damit das klar ist. Dann erst Kaffee.
Ich dachte, dass der Garten einen anderen Menschen aus mir macht – genau so ist es gekommen. Ich lebe naturnah. Die oder wir. Das ist kein Streichelzoo da draußen. Wer nicht töten will,
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