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Anthrax

Anthrax

Titel: Anthrax Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robin Cook
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hatte, war es nach sechs. Laurie hatte sich immer noch nicht gemeldet; also versuchte er sein Glück noch einmal. Zu seinem Verdruß meldete sich nach wie vor der Anrufbeantworter. Er legte auf, ohne sich ihren Spruch bis zu Ende anzuhören.
    Draußen war es inzwischen hell geworden, und er trug sich mit dem Gedanken, früh zur Arbeit zu fahren. Plötzlich kam ihn in den Sinn, daß Laurie vielleicht vom Büro aus angerufen hatte. Zwar hatte sie seines Wissens keinen Bereitschaftsdienst; aber möglicherweise war ein Fall hereingekommen, der sie besonders interessierte.
    Er rief im Gerichtsmedizinischen Institut an. Marjorie Zankowski, die Telefonistin der Nachtschicht, meldete sich und teilte ihm mit, sie sei zu neunzig Prozent sicher, daß Dr. Montgomery sich nicht im Institut aufhalte. Der einzige anwesende Gerichtsmediziner sei der diensthabende Pathologe.
    Frustriert und fast ein bißchen wütend gab er schließlich auf und schwor sich, keine weitere geistige Energie auf Laurie und ihren merkwürdigen Anruf zu verschwenden. Statt dessen ging er ins Wohnzimmer und machte es sich mit einer seiner vielen ungelesenen gerichtsmedizinischen Fachzeitschriften auf dem Sofa gemütlich.
    Um viertel vor sieben stand er auf, warf die Zeitschrift beiseite und schnappte sich sein an der Wohnzimmerwand lehnendes Cannondile-Mountainbike. Das Fahrrad auf der Schulter, begann er die vier Treppen des Mietshauses, in dem er wohnte, hinabzusteigen. Der frühe Morgen war die einzige Zeit, in der aus Wohnung 2B kein lauter Streit zu hören war. Im Erdgeschoß mußte er einer Ladung Abfall ausweichen, den während der Nacht jemand die Treppe hinuntergekippt hatte.
    Er trat auf die West 106 th Street hinaus, sog die würzige Oktoberluft ein und fühlte sich zum ersten Mal an diesem Morgen frisch und munter. Beschwingt bestieg er sein violettes Fahrrad und radelte in Richtung Central Park, zu seiner Linken vorbei an dem menschenleeren Basketball-Court seines Viertels.
    Sein erstes Mountainbike hatte man ihm vor einigen Jahren genau an jenem Tag gestohlen, an dem man ihn so brutal zusammengeschlagen hatte, daß ein Stück von seinem Schneidezahn abgebrochen war. Zunächst hatte er damals auf die Warnungen seiner Kollegen, insbesondere von Laurie, gehört, die ständig die Gefahren des Fahrradfahrens in der Stadt beschworen, und dem Wunsch widerstanden, sich ein neues zu kaufen. Doch nachdem er dann in der U-Bahn überfallen und ausgeraubt worden war, hatte er sich doch ein neues Bike zugelegt.
    Anfangs war er mit seinem Neuerwerb äußerst vorsichtig gefahren, doch das hatte sich im Laufe der Zeit geändert. Inzwischen war er wieder zu seiner alten Raserei zurückgekehrt. Auf dem Weg zum Institut und zurück nach Hause trug er seinem selbstzerstörerischen Charakter Rechnung, indem er sich zweimal täglich in eine haarsträubende Amokfahrt stürzte. Jack hegte die Überzeugung, daß er nichts mehr zu verlieren hatte. Sein leichtsinniger Fahrstil, der im Grunde nichts anderes war als eine notorische Herausforderung des Schicksals, war seine Art auszudrücken, daß wenn seine Familie schon hatte sterben müssen, er eigentlich bei ihr hätte sein sollen und daß er vielleicht eher früher als später wieder mit ihr vereint sein würde.
    Als er das an der Ecke First Avenue/30 th Street gelegene Gerichtsmedizinische Institut erreichte, hatte er zwei zeitraubende Diskussionen mit Taxifahrern und einen kleineren Streit mit dem Fahrer eines städtischen Busses hinter sich. Unverzagt und keine Spur außer Atem stellte er sein Fahrrad im Untergeschoß neben den Hart-Island-Särgen ab und machte sich auf den Weg nach oben in den sogenannten ID-Raum, der unter anderem dazu diente, daß Angehörige dort ihre Toten identifizierten. Die meisten Menschen wären nach einer derart strapaziösen Fahrt mit den Nerven am Ende gewesen, nicht aber Jack. Im Gegenteil: Die ständigen Konfrontationen mit anderen Verkehrsteilnehmern und die körperliche Anstrengung beruhigten ihn und bereiteten ihn auf den alltäglichen bürokratischen Hürdenlauf vor. Im Vorbeigehen schnipste er gegen einen Zipfel von Vinnie Amendolas Zeitung. Vinnie war Sektionsgehilfe und saß an seinem Lieblingsplatz, dem Schreibtisch direkt neben der Tür. Jack begrüßte ihn mit einem ›Hallo‹, doch Vinnie ignorierte ihn. Wie an jedem Morgen lernte er die Sportergebnisse des Vortages auswendig.
    Vinnie arbeitete schon länger im Gerichtsmedizinischen Institut als Jack. Er leistete gute

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