Antifragilität: Anleitung für eine Welt, die wir nicht verstehen (German Edition)
Institutionen als Betrüger bezeichnet, die zuvor noch keiner so genannt hat, muss sich darauf gefasst machen, dass er dafür zur Rechenschaft gezogen wird, aber die Folgekosten sind nicht so hoch, dass sie mich abschrecken könnten. Nachdem der Mathematiker Benoît Mandelbrot die Druckfahnen des Schwarzen Schwans gelesen hatte – ich hatte ihm das Buch gewidmet –, rief er mich an und fragte beiläufig: »In welcher Sprache soll ich Ihnen ›viel Glück‹ wünschen?« Wie sich herausstellte, brauchte ich kein Glück; ich war gegen alle möglichen Arten von Angriffen antifragil: Je häufiger mich die Zentrale Fragilisten-Fraktion angriff, desto weiter verbreitete sich meine Botschaft, denn derartige Angriffe motivierten die Leute dazu, sich meine Argumente genauer anzusehen. Heute tut es mir leid, dass ich bei der Nennung von Ross und Reiter nicht noch weiter gegangen bin.
Kompromisse zulassen ist gleichbedeutend mit Billigung. Es gibt einen einzigen modernen Grundsatz, dem ich folge; er stammt von George Santayana: Ein Mensch ist moralisch frei, wenn … er die Welt und andere Menschen mit kompromissloser Aufrichtigkeit beurteilt. Das ist mehr als ein Ziel: Es ist eine Verpflichtung.
Entsteinerung
Zweite ethische Norm:
Ich bin in dem Maß verpflichtet, mich dem wissenschaftlichen Procedere anzupassen, wie ich es von anderen verlange – aber nicht darüber hinaus. Wenn ich im Bereich der Medizin oder der Naturwissenschaften empirische Behauptungen lese, bin ich froh, dass diese Behauptungen das Peer-Review-Verfahren passiert haben, eine Art Faktencheck und eine Prüfung auf methodische Schlüssigkeit. Logische Aussagen oder Äußerungen, die durch mathematische Beweisführung gestützt sind, haben solche Prozesse nicht nötig: Sie können und müssen auf eigenen Beinen stehen. Ich publiziere also die fachspezifischen Fußnoten der einzelnen Kapitel – und nur sie – in speziellen, akademisch ausgerichteten Veröffentlichungen (und begrenze sie auf die Aussagen, für die Nachweise oder komplexere technisch-fachliche Argumentation nötig sind). Doch um der Authentizität willen und zur Vermeidung von Karrierismus (der Herabwürdigung von Wissen zu einem Wettkampfsport) versage ich mir, irgendetwas über diese Fußnoten Hinausgehendes zu veröffentlichen.
Nach über zwanzig Jahren als Transaktions-Trader und Geschäftsmann in dem Beruf, den ich als »sonderbar« bezeichnet habe, versuchte ich mich an einer so genannten Universitätskarriere. Und ich habe in diesem Zusammenhang eine wichtige Mitteilung zu machen (das war der eigentliche Antrieb hinter dem Gedanken der Antifragilität im Leben und der Dichotomie zwischen dem Natürlichen und dem entfremdeten Unnatürlichen ): Handel macht Spaß, regt an, ist lebendig – Handel ist etwas Natürliches, wohingegen die akademische Welt, so durchprofessionalisiert, wie sie momentan ist, keine dieser Eigenschaften hat.
Und für diejenigen, die der Meinung sind, an der Universität gehe es »ruhiger« zu und sie sei eine emotional erholsame Abwechslung nach dem unsteten, riskanten Business-Leben, habe ich eine Überraschung parat: In einem aktiven Leben tauchen jeden Tag neue Probleme und Erschütterungen auf, die die Kopfschmerzen, Verstimmungen und Konflikte des vorangegangenen Tages ersetzen und auslöschen. Ein Nagel verdrängt einen anderen Nagel, und dabei gibt es eine erstaunliche Variationsbreite. Akademiker hingegen (vor allem diejenigen in den Gesellschaftswissenschaften) leben offenbar in einem Zustand ständigen gegenseitigen Misstrauens; sie sind von kleinlichen Zwangsvorstellungen, von Neid bis hin zu eiskaltem Hass besessen; unbedeutende Zurechtweisungen wachsen sich zu anhaltendem Groll aus, der im Lauf der Zeit, in der Einsamkeit einer immer gleich bleibenden Umgebung, wo der einzige Austauschpartner ein Computerbildschirm ist, regelrecht versteinert. Ein vergleichbares Ausmaß an Neid habe ich während meiner Jahre als Geschäftsmann nie erlebt … Ich habe die Erfahrung gemacht, dass Geld und Handel Beziehungen reinigen; Ideen und Abstraktionen wie »Anerkennung« und »Ansehen« hingegen verzerren sie und führen zu einer Atmosphäre ständiger Rivalität. Menschen, die ständig nach Referenzen gieren, finde ich zunehmend abstoßend, widerwärtig und nicht vertrauenswürdig.
Beim Handel, bei Geschäften und in levantinischen Suks (nicht auf überregionalen Märkten und in Großkonzernen!) kommt das Beste im Menschen zum Vorschein: Nachsicht,
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