Die Seidenstickerin
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Es nieselte hartnäckig, als Jacquou und Meister Coëtivy Angers verließen, und trotz ihrer dicken Kapuzenmäntel waren sie bald bis auf die Haut durchnässt. Der Webermeister hatte den jungen Mann mit aufsitzen lassen. Er hockte also sicher hinter ihm auf dem Pferd, hielt sich an seinem Meister fest und blinzelte angestrengt, um trotz des Regens wenigstens etwas zu erkennen.
Wie jeden Monat waren sie bei Morgengrauen aufgebrochen und erreichten Nantes am frühen Vormittag. Der Regen hatte nicht nachgelassen; über den bedrohlich finsteren Himmel zogen dicke, schwarze Wolken und versuchten das zähe Grau zu vertreiben, das seit einigen Wochen über der Stadt hing.
Überall in der Stadt tönte es von den üblichen morgendlichen Geräuschen. Die Pferde, die schon vor die Wagen gespannt waren, wieherten laut, stampften auf der Stelle und schüttelten ihre stattliche Mähne. Hufe klapperten über das Pflaster, und die Geschäfte in der Mauer um die Kaufmannsviertel öffneten nach und nach quietschend ihre Türen; allmählich erfüllten die Rufe der Handwerker Plätze und Gassen.
Meister Yann, der Hofsticker von Königin Anne – dem sie treu geblieben war, auch als sie nach ihrer Heirat mit dem König von Frankreich Nantes verlassen hatte – besaß eine große zweistöckige Werkstatt direkt neben dem Schlossviertel. Dort gab es zwar natürlich keine großen Maschinen wie die Webstühle in den Werkstätten für Wandteppiche, aber es ging genauso lebhaft zu, und der Boden war auch hier übersät von zahllosen Fäden in allen Farben, die zusammen einen riesengroßen, bunten Teppich bildeten.
Als Jacquou die Werkstatt betrat, saßen die Frauen schweigend bei der Arbeit. Sie mussten die Seidenfäden und die Goldfäden einziehen, eine sehr anspruchsvolle Tätigkeit, die größte Genauigkeit und Aufmerksamkeit verlangte. Weil sie Jacquou alle kannten, lächelten ihn die Arbeiterinnen an, als er hereinkam.
Sein Blick blieb an diesem Tag aber vor allem an einem Mädchen hängen, das er hier noch nie gesehen hatte, und ihre Blicke kreuzten sich lange. Sie war zwar erst etwa zehn Jahre alt, aber groß und schlank, und ihr hübsches Gesicht gefiel Jacquou sehr.
Das Mädchen war damit beschäftigt, die schadhaften Fäden sorgfältig zu sortieren, wofür sie mit ihrem Ordnungssinn bereits einen geeigneten Platz entdeckt hatte – nämlich genau zwischen ihren beiden Füßen, die in unbequemen Schuhen steckten.
In der Mitte des großen Raumes saßen drei andere Frauen vor ihren Holzrahmen und übertrugen Motive, indem sie ihre Musterkartons mit Löchern für den Kreidestaub versahen. Man sah ihnen an, dass sie ihr Handwerk beherrschten, so ruhig und sicher gingen sie ihrer Arbeit nach. Drei weitere Frauen waren damit beschäftigt, Fäden auf kleinere rechteckige Rahmen zu spannen, die sie auf den Knien liegen hatten.
Damals, gegen Ende des Mittelalters, beschäftigte man in den Stickereiwerkstätten lieber Männer als Frauen. Aber Königin Anne, die mit ihrer bequemen kleinen Galeere gern gemächlich auf der Loire von Amboise nach Nantes segelte, sah sich häufig in den Stickereiwerkstätten nach begabten jungen Frauen um, die sie dann zu sich an den Hof holte.
Deshalb arbeiteten in Meister Yanns Werkstatt, im Gegensatz zu den meisten anderen, genauso viele Frauen wie Männer. Darauf legte die Königin allergrößten Wert und schickte gelegentlich zwei oder drei ihrer Zofen, die bei Meister Yann ausgebildet worden waren, los, um die besten Stickerinnen zu sich ins Val de Loire zu holen.
Und an diesem frühen Herbsttag hatte die Königin zwei ihrer Zofen zu dem Sticker nach Nantes geschickt, um dort nach einigen begabten Mädchen Ausschau zu halten.
Blanche de Montbron und Louise de Chatillon entdeckten dann auch sofort die drei Frauen, die an den Holzrahmen arbeiteten – Annette, Eloïse und Gaëlle. Die drei Arbeiterinnen steigerten sich von Jahr zu Jahr so viel versprechend, dass sie es wohl eines Tages zu Meisterinnen ihres Handwerks bringen würden. Immerhin beherrschten sie auch die schwierigsten Stiche mit Gold- und Seidenfäden bereits perfekt. Und Gaëlle konnte sogar schon außerordentlich geschickt mit dem geflochtenen goldenen Metallfaden umgehen, der die Chorröcke und Siegelkapseln auf den Teppichen echter aussehen ließ.
»Das gefällt mir ausgezeichnet, was Ihr da macht«, sagte Blanche de Montbron zu Gaëlle, die gerade eine Bischofsmütze mit dem Anbringen der Metallfäden fertig stellte.
»Und
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