Antworten auf Fragen
zu danken. Doch wenn Tage später diese Prämie gestohlen wird, ist es weitaus schwieriger, darin göttlichen Willen zu spüren. Und wenn wir ein paar Tage später grundlos im Hauseingang verprügelt werden, halten wir es sogar für abwegig, darin göttlichen Willen zu sehen. Doch in Abhängigkeit davon, wie sehr wir ständig danach streben, ringsum das Göttliche zu sehen, und dementsprechend innerlich die Liebe zu allem bewahren, was uns umgibt, beginnt sich das Göttliche in uns und in unserer Seele zu entfalten. Je mehr wir das Göttliche in jedem Menschen sehen und innerlich die Liebe zu ihm bewahren, umso mehr nähern wir uns dem Göttlichen. Und alles Menschliche in uns zerfällt dann nicht, sondern entwickelt sich aktiv weiter. Hierfür lassen sich viele Beispiele nennen. Ich führe ein Beispiel an, das uns allen bekannt ist.
Ich versuchte früher zu verstehen, warum das Neue Testament so geschrieben wurde.
Es sind vier Evangelien, und jedes gibt seine Version der Erhöhung und des Todes von Jesus Christus. Wäre es nicht einfacher, alle seine Gebote und Lehren zusammenzufassen und ihnen unbeirrt zu folgen? Dann habe ich verstanden: Oft enthalten die Situationen und zusammenhängenden Ereignisse die Information, welche wir anfangs nicht erfassen können, auf die wir mit unseren Gefühlen reagieren und aus der wir unterbewusst Schlüsse ziehen.
Versuchen wir, aus der Sicht menschlicher Logik das Verhalten und den Charakter der Jünger von Jesus Christus zu betrachten. Wenn wir uns fragen, wer von den Aposteln der größte Feigling war, stellt sich heraus, dass es der Apostel Petrus war. Er verleugnete dreimal kleinmütig seinen Herrn. Und gleichzeitig war er der einzige, der bereit war, seinen Herrn zu verteidigen.
Eine seltsame Mischung aus Feigheit und Mut. Als Christus über das Wasser ging, ging Petrus ihm entgegen, und Petrus war es auch, der zweifelte und nicht an Christus glaubte, woraufhin er unterging. Was ergibt sich hieraus? Der Unglaube war in Petrus wesentlich stärker als der Glaube, die Feigheit wesentlich stärker als der Mut. Aber dennoch hat Christus gerade ihm die Hauptrolle unter allen seinen Jüngern zugewiesen.
Nun zu Judas. Nach allem zu urteilen, war er der willensstärkste und prinzipienfesteste aller Apostel. Je mehr Willen, Intellekt und Ethik ein Mensch hat, desto härter kann er auf jede Ungerechtigkeit reagieren. Und das Verhalten von Christus vor der Kreuzigung war aus menschlicher Sicht unlogisch und ungerecht. Er tat das, was sehr reiche Menschen machten: Er ließ sich die Füße mit kostbarem Öl waschen. Judas hatte in seiner Seele das Bild von einem unglaublich talentierten, klugen und selbstlosen Lehrer geschaffen. Und plötzlich wurde dieses Bild zerstört. Judas wollte nicht länger jemandem dienen, der seine Ideale verraten und zerstört hatte. Alle Jünger kritisierten Jesus Christus wegen seines ungehörigen Verhaltens, doch als energischster und willenstärkster von ihnen führte Judas diese Kritik zu Ende. Der moralische Verfall des Lehrers musste gestoppt werden, sein hehres Bild musste denen, die ihm glaubten, erhalten bleiben. Und dafür musste er vernichtet werden. Die dreißig Silberlinge waren hier nicht der banale Wunsch, sich zu bereichern, sondern Ausdruck einer Tendenz, die in der Seele jedes von uns existiert.
Wenn das Allerheiligste beleidigt ist, dann kann man alle Ethik vergessen und sich dem Geld hingeben, d.h. die Handlung von Judas war die symbolische Lossagung von der verletzten Ethik und die Wahl eines neuen Schwerpunkts — Geld als Sinn von allem. Gewöhnlich sind es stolze Menschen, die ihr Leben durch Selbstmord beenden. Aber warum beschloss Judas, sein Leben zu beenden? Hatte ihn etwa auch das Geld so schnell enttäuscht? Doch es ist unmöglich, in so kurzer Zeit vom Geld enttäuscht zu sein. Das heißt, es gab irgendeinen anderen Grund. Aber welchen?
Vergleichen wir noch einmal die beiden Apostel miteinander, wobei jeder von ihnen zwei Tendenzen verkörpert. Der prinzipienfeste, kluge und willensstarke Mensch war vom Leben enttäuscht und beging Selbstmord. Der feige, kleinmütige und zweifelnde Mensch wurde zum wichtigsten Verkünder und Träger der Idee des Christentums. Was ist also die Ursache des Vorgefallenen und worin besteht der auffallende Unterschied zwischen ihnen? Es gibt einen Unterschied. Als Christus die Jünger fragte „Wer sagt denn ihr, dass ich sei?“, sagten alle Apostel, dass sie ihn für einen Propheten,
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