Unter den Sternen des Südens: Australien-Saga (German Edition)
November 2000
B rian wandte nur für einen kurzen Moment den Blick von der Straße, aber das genügte schon. Der Wagen geriet an den Fahrbahnrand, der linke Vorderreifen landete im Kies, und gleich darauf verlor Brian die Kontrolle über das Fahrzeug.
Die Schreie seiner Frau und sein erschrockenes Stöhnen verstummten abrupt, als der Wagen abhob, auf den Boden krachte und weiterschleuderte. Das Geräusch von knirschendem Metall und splitterndem Glas hallte in der Landschaft wider. Dann wurde es plötzlich ganz still, mit Ausnahme eines Reifens, der sich in der Luft drehte, und der abgeknickten Antenne, die hin und her baumelte. Die Insassen des Wagens rührten sich nicht. Über ihnen krächzte eine Krähe.
Amanda blickte aus einem der Klassenzimmer im zweiten Stock auf die Menschenmenge unten in der Aula und versuchte, ihre Eltern zu entdecken. Sie sah ihren Professor für Rechnungswesen, der sich mit dem Dekan der agrarwissenschaftlichen Fakultät und ihrem Biologiedozenten unterhielt, zwischen glücklichen Eltern, die miteinander plauderten. Sie konnte nicht glauben, dass der Tag endlich gekommen war. Nach all den Diskussionen mit ihrem Vater über den Sinn dieses Studiums, nach drei Jahren intensiven Büffelns und diversen Gelegenheitsjobs, nach der langen räumlichen Trennung von ihrer Mutter, ganz zu schweigen von ihrer Heimatfarm Kyleena, hatte Amanda es endlich geschafft.
Der Dekan hatte schon vor der Zeremonie durchblicken lassen, dass sie als Jahrgangsbeste abgeschlossen hatte. Ob mein Vater stolz auf mich sein wird?, fragte sich Amanda.
Sie lächelte, als sie Katie und Jonno entdeckte, die sich mit ihren Eltern unterhielten. Als frischgebackene Absolventen machten sie einen seriösen und erwachsenen Eindruck, der nichts von den feuchtfröhlichen Saufgelagen ahnen ließ, die sie während ihrer Studienzeit gefeiert hatten.
Amandas Blick blieb auf Jonno ruhen, und sie spürte die vertraute Sehnsucht. Er sah unheimlich gut aus in Anzug und Krawatte. Sie hatte ihn bisher nur einmal in so einer eleganten Aufmachung gesehen – bei der Beerdigung von Cory McLeod. Amanda dachte traurig an ihren gemeinsamen Freund, der jetzt nicht mitfeiern konnte. Cory war im ersten Semester bei einem Autounfall ums Leben gekommen. Sein Tod hatte die Clique tief erschüttert.
Plötzlich flog die Tür des Klassenzimmers auf. Amanda drehte sich erschrocken um und sah ihre Freundin Hannah hereinkommen. Hannah sah so anders aus in ihrem schwarzen Talar mit der blauen Schärpe, ihre wilde blonde Mähne brav hochgesteckt unter dem Doktorhut. »Warum versteckst du dich hier?«, fragte sie, und ihre Augen funkelten vor Begeisterung.
»Ich verstecke mich nicht. Ich sehe mir nur die Leute an«, erwiderte Amanda und drehte sich wieder zum Fenster um.
Hannah, die die Niedergeschlagenheit ihrer Freundin spürte, stellte sich neben sie und legte den Arm um ihre Schultern. »Sind deine Eltern hier?«, fragte sie.
»Klar! Du glaubst doch nicht, dass Mum sich meine Abschlussfeier entgehen lässt, oder? Ich kann die beiden nur nicht entdecken. Wahrscheinlich sind sie mal wieder zu spät gekommen und haben sich während der Zeremonie hereingeschlichen. Und dann hat Dad einen alten Kumpel getroffen«, sagte Amanda mit ironischem Lächeln, um ihre Besorgnis zu verbergen.
»Komm, du kannst sie nachher noch suchen, Miss Jahrgangsbeste! Jetzt brauchen wir dich für das Klassenfoto und zum Anstoßen. Ich soll dich holen.«
»Und ich dachte, du hast dir Sorgen um mich gemacht«, sagte Amanda und lächelte. Sie folgte Hannah aus dem Zimmer und schaltete das Licht aus.
Kurz darauf stellte sich der Abschlussjahrgang 2000 vor der Kamera auf und rief »Bundy!«, beobachtet von den stolzen Familienangehörigen. Zwischen den Aufnahmen hielt Amanda Ausschau nach ihren Eltern.
Sie zwang sich zu einem Lächeln, ohne das Klicken und Surren der Kamera richtig wahrzunehmen, während zunächst mehrere Fotos vom gesamten Jahrgang gemacht wurden und danach Porträts von den ausgezeichneten Studenten mit ihren Urkunden und ihren Professoren. Nachdem Amanda ein letztes Mal posiert hatte, bemerkte sie zwei Polizisten in Uniform, die mit dem Dekan sprachen. Während sein Blick durch die Menge schweifte, bestätigte sein schockierter Gesichtsausdruck Amandas ungute Vorahnung, und ihre Beine bewegten sich automatisch in seine Richtung.
Hannah folgte ihr und gab Jonno das Zeichen, sich anzuschließen. Sie standen rechts und links von Amanda, als sie die
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