Anziehungskraft: Stil kennt keine Größe (German Edition)
Hof- und Parkplatzseite und meine Damen in der Schneiderei konnten noch Jahre später die Bremsspur ihres Mercedes 280 vor ihren Tischen verblassen sehen. Ich hätte alles von ihnen verlangen können, aber keinen Kragen für »Frau Maisenkaiser«.
Ihre Drohung hatte wie ihre Bremsspur Nachhaltigkeit! Das Himmelsmädchen war ein ausgewachsenes Weibsbild mit viel Geld und der Absicht, auf jedem Unternehmerball, jeder Party und auf jeder Kreuzfahrt aufzufallen – koste es, was es wolle. Vor allem auf dem Ball der Frau Ohoven in Düsseldorf wollte sie bleibenden Eindruck hinterlassen. Nur der liebe Gott weiß, wie sie die Karte ergattert hatte, da sie laut ihrer Aussage eigentlich überhaupt keinen gesellschaftlichen Anschluss hatte.
Textiler Partner für diese Aufgabe waren mein Team und ich. Pailletten, Kristall und alles, was an Kurzwaren »Hallo« schreien konnte, kamen zum Einsatz. Sie verfügte über straffe, fast schlanke Beine und kleine entschlossene Hände. Sie trug ihr Haar hochgesteckt und war so blond wie ein pommersches Weizenfeld. Ich habe nie mehr eine Dame getroffen, die so viele Brillantringe auf einer Hand tragen konnte. Ich bin mir sicher, den Überfall auf ihre Preziosen hätte kein Angreifer überlebt. Ihre Hände waren so flink, dass sie auch nicht scheute, bei der leisesten Entgleitung einer Abstecknadel blitzschnell nach der bedienenden Kraft zu schlagen. »Im Affekt«, pflegte sie dann zu sagen: »Na ja, dann ist es ja etwas anderes, sozusagen Notwehr.« Das wilde, unbändige Ding war uns nach kurzer Zeit ans Herz gewachsen, da sie liebevoll und so großzügig war. Geschichten, Weisheiten, Gebäck und Geldgeschenke trafen das Herz- und das Verzeihzentrum von so einigen meiner Mitarbeiter. Während wir versuchten, einen pastellfarbenen Paillettenstoff in ein Cape zu verwandeln und sie in einen schmalen Seidenrock zu quetschen, erzählte sie fortlaufend von all den Mietern, denen sie in regelmäßigen Abständen ihre Aufwartung machte.
»Herr Kretschmer«, sagte sie, »ich habe fast zweieinhalb Monate gebraucht, bis ich fast alle meine Mieter persönlich besucht hatte. Stellen Sie sich einmal vor, Sie machen Ihren Mietern eine Aufwartung und stellen ihnen auch noch Wohnraum zur Verfügung – manche von denen machen nicht einmal die Tür auf! Nicht einmal hereingebeten zu werden in die eigenen vier Wände ist doch wohl ein starkes Stück, oder was denken Sie?« Mein Vorschlag, sich Erleichterung zu verschaffen, indem sie doch bitte den Immobilienverwalter ihres Mannes wieder ins Boot holen solle, wurde nicht sehr wohlwollend kommentiert. »Herr Kretschmer, Mieter wollen auch wissen, wer die Hütte besitzt und an wen sie jeden Monat pünktlich ihre Miete überweisen.« »Ach so«, dachte ich … »Stellen Sie sich vor«, sagte sie einmal zu einer Auszubildenden, »Sie wären in meiner Lage. All die Probleme mit den Nebenkosten, der Renovierung und dem Vandalismus in meinen Häusern. Sie können dem Himmel dafür danken, dass Sie nicht vermögend sind. Sie haben alles, ich den Ärger. Denken Sie auch einmal an Ihren armen Vermieter.«
Im Laufe der Monate wurde eine Vielzahl von Kleidern, Hosen und eben Capes in allen Variationen für sie gearbeitet. Oft stellte ich mir vor, wie Sie auf dem Weg zu irgendeinem Abendessen mit ihren auffälligen Kreationen noch kurz bei den erstaunten Mietern vorbeischaute, um sich für die pünktlich bezahlte Miete zu bedanken. Aber der ultimative Auftritt sollte die Einladung zur ohovschen Charityveranstaltung in Düsseldorf sein. Ihr textiler D-Day sozusagen. »Alles zu haben«, sagte sie oft, »außer gesellschaftlichem Anschluss ist die Höchststrafe! Arm zu sein muss entspannt sein, Sie brauchen nie zu verbergen, was Ihnen alles abhanden kommen könnte.« Ihr gesellschaftlicher Anschluss sollte in Form eines dunkelgrünen Paillettenkleides von uns vorbereitet werden. Kragenlos, selbstredend. Ich habe es mir nie nehmen lassen, die Anproben mit ihr selbst zu übernehmen. Wie oft habe ich vor ihr auf dem Boden gehockt, habe den Saum abgesteckt und ihr zugehört. »Frau Maisenkaiser« und ich konnten uns auf eine wundersame Weise die Bälle zuwerfen. Humor ist etwas wunderbar Verbindendes. Wir waren ein gutes Team! Als ich sie einmal versehentlich mit einer Nadel stach, schlug sie direkt nach einer meiner Angestellten, lächelte mich an und sagte: »Ich habe es genau gesehen, die hat Sie angerempelt. Sie haben es auch nicht leicht, Herr Kretschmer. Aber steigen
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