Apartment in Manhattan
zehnjährigen Jungen bekommen würde, den ich so herbeisehne – also die Figur, die angeblich schon seit Jahren aus der Mode ist. Ja, klar. Als ob Rubenskörper jemals wieder in Mode kommen würden.
Ich lausche Wills Stimme unter der Dusche. Er singt irgendein Rogers-and-Hammerstein-artiges Lied. Er hat meiner Meinung nach eine großartige Stimme. Manchmal wünsche ich, dass er die ganze Broadway-Szene einfach sausen lässt und eine Pop-Platte aufnimmt. Aber das will er nicht. Sein Traum ist es, auf der Musical-Bühne Erfolg zu haben.
Bisher hat er nur in zwei erfolglosen Musicals mitgemacht, das eine war das Remake einer obskuren Show, das andere ein Original, geschrieben von einem Typ, den er im Schauspielunterricht kennen gelernt hat. Beide wurden nach ein paar Wochen eingestellt.
Das ist auch der Grund, warum diese Sommeraufführungen gut für ihn sein könnten.
Ich wünschte nur, er würde mich nicht so leichten Herzens verlassen. Oder dass er mich bittet, mit ihm zu kommen, anstatt es mir zu überlassen, den besten Zeitpunkt zu finden, um ihm genau das vorzuschlagen.
Ich habe bisher noch nicht wirklich darüber nachgedacht, was ich tun würde, wenn ich wirklich mitginge. Ich meine, ich weiß ja, dass ich nicht bei Will bleiben könnte, der mit den anderen Schauspielern in einem Haus wohnt. Aber es kann ja wohl kaum so schwer sein, für die Sommermonate ein kleines Zimmer in einem winzigen Ort fast eine Stunde nördlich von Albany zu mieten. Außerdem gibt es dort bestimmt Jobs, denn im Sommer tauchen dort eine Menge Touristen auf. Ich bin definitiv nicht anspruchsvoll, ich könnte bedienen oder auf Kinder aufpassen.
Ich weiß, was Sie jetzt glauben, aber sehen Sie mal, ich finde die Vorstellung einfach toll, nicht die U-Bahn nehmen zu müssen, um zu einem Achtstundenjob in der heißen, übelriechenden Stadt zu fahren, wo ich für andere ans Telefon gehe und den ganzen Tag am Kopierer stehe. Es wäre ja so befreiend, eine Zeit lang mal was anderes zu machen.
Was die Karriere in der Werbebranche angeht … nun, ich kann jederzeit im Herbst eine andere Agentur finden. Oder überhaupt etwas anderes. Schließlich ist es nicht so, dass ich mein Herzblut daran gebe, eine Eins-A-Texterin zu werden. Das ist nur einfach etwas, wozu ich mit meinem Englisch-Abschluss in der Lage bin.
Außer zu unterrichten.
Meine Eltern sind der Meinung, ich sollte unterrichten. Sie finden, dass das der perfekte Job für Frauen ist. Meine Mutter war Lehrerin, bevor sie meinen Vater geheiratet hat. Meine Tante Tanya ist noch immer Lehrerin an der Grundschule meiner Heimatstadt. Meine Schwester war Lehrerin vor und während ihrer Ehe mit meinem Ex-Schwager Vinnie, der eines Tages im vergangenen Jahr nach Hause kam und Mary Beth erklärte, dass er sie nicht mehr liebte.
Sie war wirklich am Boden zerstört, was ich verstehe – sie haben schließlich gemeinsame Kinder –, aber wenn Sie mich fragen, geht es ihr ohne ihn besser. Er hat immerzu mit anderen Frauen geflirtet – vor allem nachdem Mary Beth mit jeder Schwangerschaft jeweils zehn bleibende Kilo zugenommen hatte.
Vielleicht doch nicht so bleibend, denn im Augenblick versucht sie abzunehmen. Deswegen der Fitnessclub. Jetzt unterrichtet sie nicht mehr. Sie hat ihren Job verloren, ungefähr eine Woche bevor Vinnie sie verlassen hat. Egal wie verzweifelt sie wegen der Kündigung war, den alten Vinnie hat das nicht davon abgehalten, sie zu treten, als sie schon am Boden lag. Das zeigt doch, was für ein mieser Typ er ist.
Das Geräusch von laufendem Wasser und die Singerei brechen abrupt ab, und wenige Augenblicke später öffnet Will die Badezimmertür. Dampf umwirbelt ihn, als er mit um die Hüften geschlungenem Handtuch herauskommt.
Ich ertappe mich dabei, dass ich mich frage, ob er das auch tut, wenn Nerissa zu Hause ist. Es würde mich nicht überraschen, wo er doch so ungezwungen mit seiner Nacktheit umgeht. Macht nichts, sie hat wie gesagt einen Freund und er hat mich, also kann zwischen den beiden ja gar nichts passieren. Sie sind nur Zimmergenossen.
Nicht wahr?
Nicht wahr?
„Was machst du da?“ fragt er.
„Ich lese
Entertainment Weekly
.“
„Nein, ich meine, du hast mich so komisch angeschaut. Als ob dich irgendetwas nervt.“
„Was habe ich?“ Verdammt. Ich zucke nur mit den Schultern.
Er tut es ebenfalls, und dann beginnt er, sich abzutrocknen.
Ich tue so, als ob mich der Artikel über die ehemaligen Al-Bundy-Schauspieler ungeheuer faszinieren
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