Applaus für eine Leiche
und wo dieses Ereignis stattfinden sollte. Der Absender blieb völlig anonym. Nicht mal eine Höflichkeitsfloskel wie „Die rächende Hand“ oder einen ähnlich romanhaften Briefschluß hatte er gewählt. Zwar war der Adressat nicht namentlich genannt, und einen Briefumschlag fand ich nicht; doch es konnte sich sehr gut um Favereau handeln. Erstens befand sich der Zettel in seinem Besitz, und zweitens paßten die Beleidigungen haargenau zu der bescheidenen Meinung, die ich mir von dem Schauspieler gebildet hatte.
Ich legte den tödlichen Liebesbrief an seinen Platz zurück und setzte die Taschendurchsuchung fort. Dabei förderte ich den üblichen Krimskrams ohne die geringste Bedeutung zutage. In der Westentasche stießen meine durchwühlenden Finger auf ein seltsames Papierkügelchen. Bei genauerem Hinsehen entpuppte es sich als ein Stück Seidenpapier mit ein paar schwachen Fettflecken, von dem ein mörderischer Knoblauchgestank ausging.
Ich hätte gerne gewußt, was das Seidenpapier wohl umwickelt hatte. Und wie war der Knoblauchgeruch zu erklären? Beide Fragen waren gute Gründe dafür, den Fund einzustecken.
Bevor ich die Brieftasche wieder in die Innentasche des Jacketts schob, warf ich noch einen letzten Blick hinein. Außer dem Drohbrief und den schon erwähnten Papieren enthielt sie ein hübsches Bündel Banknoten. Ich nahm ein paar Scheine an mich — das vereinbarte Honorar und ein anständiges Trinkgeld — und schwor feierlich, als Gegenleistung den Mörder zu entlarven. Auch wenn es mir schwerfiel, das Opfer zu beweinen, so vergaß ich doch nicht, daß dieses Opfer einmal mein Klient gewesen war. Und vor allem vergaß ich nicht den Staub, den der Mord aufwirbeln würde. Sollte ich den Täter finden, dann würde meinem Namen an der Seite des Verblichenen Glanz verliehen werden. Eine äußerst günstige Werbung!
Mein Gewissen war beruhigt. Ich setzte mich in eine Ecke des Sofas und fing an, über das Geschehene nachzudenken.
Vielleicht lag es daran, daß ich mich in einem Filmstudio befand. Alles, was ich seit meiner Ankunft am Morgen hier erlebt hatte, zog klar und deutlich an mir vorüber, wie auf einer Leinwand.
Rückblende
Der Mann in dem ehemals weißen Kittel übte einen Beruf aus, der dem eines Frisörs sehr verwandt ist. Wahrscheinlich war das der Grund für seinen unaufhörlichen Redefluß.
Er redete, daß man davon besoffen werden konnte. Ich schloß die Augen und ließ mich durch seinen Akzent in meine Jugendzeit zurückversetzen. Vor meinem geistigen Auge entstanden wieder die Abenteuergeschichten, in denen es von jenen verdammten blonden Spioninnen, den Zielen meiner uneingestandenen Sehnsüchte, nur so wimmelte. Ich stellte mir vor, daß sie mit genau demselben Akzent sprachen, der mir jetzt in den Ohren klang. Und dann schlug ich die Augen wieder auf... und war bedient, jedenfalls was präparierte Spioninnen anging!
Der Spiegel warf das Bild eines Obersten der zaristischen Armee zurück, mit Aprikosenwangen und gelblich-weißem Schnurrbart. Er sah aus wie ein Gerichtsvollzieher bei der Pfändung. Kurz gesagt, der slawische Sex-Appeal ließ den kleinen Nestor sibirisch frösteln.
Der Maskenbildner von Sowjets Gnaden redete und redete. Ohne Pause. Ich glaube, er wäre besser beraten gewesen, seine Zunge etwas im Zaum zu halten. Als er mir zum Beispiel die Papierserviette, die er mir umgebunden hatte, wieder abnahm, sagte er zufrieden:
„So! Jetzt sehen Sie aus wie ein richtiger Mörder.“
Sicher, ich war dazu ausersehen, in dem Film Sumpfblüte zum Schein mitzuspielen; aber solche Bemerkungen macht man einfach nicht. Film- und Theaterleute sind abergläubischer, als man annimmt. Nein, er hätte das Wort „Mörder“ nicht in den Mund nehmen dürfen.
Nach dieser verunglückten Bemerkung sprachen wir noch über dies und das, bis ein weiterer Wladimir hereinkam, allerdings in einem wirklich weißen und frisch gebügelten Kittel. Die beiden Kollegen gaben sich die Hand und begrüßten sich in ihrer Muttersprache. Der Neue schien sehr aufgeregt. Im ersten Satz — leider auf russisch! — kam der Name Favereau vor. Im Schwall der nun folgenden Worte tauchte der Name meines Klienten immer wieder auf. Und immer wurde er auf eine Art ausgesprochen, die keinen Zweifel an den Gefühlen des Maskenbildners zuließ. Dieser sonst so ruhige Mann hätte dem Filmstar lieber ein Glas mit Arsen angeboten, als ihn verdursten zu sehen.
Apropos Durst. Ich ließ den Russen seine Galle
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