Aprilwetter
gebeten habe, sie sich mal anzuhören, wenn er in Nashville sei. »Sie träumt von Musik«, sagte er, »aber sie macht hier die Korrespondenz für eine Softwarefirma.«
»Sie ist gut«, sagte Benno.
»Und du erst.« Daniel trank einen Schluck. »Geht mir kalt und heiß den Rücken runter. Man müsste in Tränen ausbrechen beim Zuhören.«
»Bist du aber nicht, oder?«
»Nein. Doch. Innerlich.«
»Danke.«
Obwohl er den Blick nicht von der leeren Sitzgruppe wandte, die er schon seit Minuten studierte, als müsse er sie morgen in einer Prüfung zeichnen, spürte Benno, dass Daniel ihn ansah. Er ließ es zu, sagte nichts, störte nicht bei der Bestandsaufnahme. Er wusste in etwa, was Daniel sehen würde: ein hageres Gesicht, glatt rasiert, kurze Haare, die sehnige Gestalt eines Mannes, der nicht mehr jung ist. Benno hatte sich in den letzten Jahren zu einer Edward-Hopper-Figur entwickelt. Gott sei Dank war er schlank geblieben, da er normalerweise die Finger von Bier und Wein ließ.
»Machst du’s noch gern?«, fragte Daniel irgendwann.
»Musik?«
»Ja.«
»Nein.« Jetzt wandte Benno den Kopf und sah Daniel vorsichtig, fast schüchtern lächeln.
»Ich hab ’n Vorschlag. Wenn’s dich anmacht.«
Er habe sein Elternhaus geerbt, erzählte Daniel, und wolle im Erdgeschoss ein Café aufmachen. Und da er inzwischen weit weg, nämlich in Berlin lebe, könne er sich nicht um die Mieter der Wohnungen kümmern. Er wolle Benno das Café einrichten und im ersten Jahr mietfrei überlassen, dafür solle der ihm die Hausverwaltung abnehmen. Sonst müsse er jemanden dafür engagieren, und das wolle er nicht, oder immer wieder von Berlin herfliegen, und das würde teuer und lästig und lohne sich nicht.
Benno tat so, als überlege er, dabei war ihm sofort klar, dass dieses Angebot ihn retten konnte. Es war die Chance zum Absprung vom absteigenden Ast. Er wollte nach dem Bierglas greifen, aber stoppte die Bewegung. Wieso er das tat, wusste er nicht, aber in diesem Moment stand fest, dass Schluss sein musste mit dem Saufen. Keinen Tropfen mehr.
»Du müsstest mir das Geld für den Flug leihen«, sagte Benno zur Theke. Daniel sollte nicht sehen, wie sehr er sich freute.
»Wann kannst du hier weg?«
»Morgen. Jetzt gleich. Mir egal.«
—
Am nächsten Nachmittag saß er im Flugzeug nach Cincinnati und ein paar Stunden später im nächsten nach Frankfurt. Ohne schlechtes Gewissen, dass er die Band hängen ließ – mussten Nick und Stephen eben ein paar Tage lang ein bisschen mehr arbeiten, um die fehlende E-Gitarre zu kompensieren. Spätestens nächste Woche hätten sie einen neuen Mann gefunden. In der Stadt standen die Musiker Schlange, und wenn sie ihn eine Weile vermissen würden, weil der Neue nicht so gut war, na und?
Auch Joseph, der Barkeeper und Geschäftsführer der Lounge würde fluchen und Benno einen Bastard nennen, weil er ihm noch zweihundert Dollar schuldete – ebenfalls na und. Er konnte das verkraften. Das übliche Publikum sollte eigentlich nichts vermissen, die kannten den Unterschied nicht zwischen guter und sehr guter Musik, nur der eine oder andere Nobody mochte sich wundern, dass er nun auf einmal doch wieder nichts Besonderes war, und auf die Idee kommen, es fehle der Schutzengel im Hintergrund. Nicht Bennos Problem.
Er hatte Daniel nichts gefragt. Nicht, ob er mit Christine zusammen war, nicht, ob er noch Musik machte, ob er Kinder hatte, was er in Nashville tat, nichts. Er hatte das Dollarbündel genommen, das Daniel am nächsten Morgen bei American Express besorgt hatte, sich erklären lassen, wo er den Schlüssel zu seiner kleinen Zweizimmerwohnung abholen sollte, und nicht mal Danke gesagt dafür, dass Daniel ihn aus der Sackgasse gelotst und ihm ein neues Leben angeboten hatte. Ein andermal. Irgendwann.
—
Aus dem Fenster sah er die Lichter einer Insel im Atlantik, vielleicht schon die Hebriden oder Irland, vielleicht auch erst Neufundland, er hatte geschlafen und kein Zeitgefühl mehr, auf den Monitoren lief ein Film, die ersten Entzugserscheinungen machten sich bemerkbar, kalte Hände, heißer Kopf und ein Muskelzucken unterm Schlüsselbein links, aber er nahm es hin, wie man Regenwetter hinnimmt, weil er wusste, dass er sich nicht die Stirn an der Wand blutig schlagen würde oder weiße Mäuse sehen oder Amok laufen. Er würde das überstehen. Er konnte nur eine Zeit lang nicht für seine Manieren garantieren. Woher er das wusste, wieso er sich dessen so sicher war, hätte er nicht
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