Aprilwetter
seltsamerweise die Aura von Ruhe und Kompetenz, die um sie lag, und ihre Stimme klang samtig und präsent wie die einer leicht verruchten Sängerin.
Benno war damals ein Häufchen Elend, zerfressen von Schuldgefühl, weil er Daniel ohne dessen Einverständnis in der Nervenklinik abgeliefert hatte, und sie war dort Schwester.
Daniel stand bis zum Kragen unter Drogen, aber noch im tiefsten Tran gelang es ihm, seinen Abscheu gegenüber Benno zu zeigen. Dafür, dass er ihn hierhergebracht hatte. »Wenn ich raus bin, will ich nichts mehr mit dir zu tun haben«, sagte er, und Benno wand sich unter Daniels unstetem, aber immer dann, wenn er doch mal traf, vernichtendem Blick.
»Das musste aber sein«, sagte Benno betreten und verdruckst, »du hättest wer weiß was angestellt.«
»Ich dachte, du bist mein Freund«, sagte Daniel. Und dann sagte er nichts mehr.
»Er ist dein Freund«, sagte Christine, die danebenstand, leise, aber Daniel schien es nicht zu hören. Sie sah, wie Benno sich quälte, und versuchte, ihn aufzurichten. »Es war richtig«, sagte sie, »das einzig Richtige, was du tun konntest.«
»Ich will dich nicht sehen.« Daniel sprach jetzt zum vergitterten Fenster und drehte sich nicht mehr um, bis Benno irgendwann aufgab und ging.
—
Daniel war von einem Tag zum anderen durchgedreht. Sie bewohnten damals eine Villa, ein großzügiges Holzhaus am Hang mit Ulmen, Birken und Lärchen im Garten, einem kleinen Studio im Kellergeschoss und einem Stockwerk für jeden.
Irgendwann nachts wachte Benno mit rasendem Herzschlag auf. Da war ein seltsamer Lärm – es klang wie betrunkene Einbrecher. Er schlich sich an, verkrampft vor Angst, und war zuerst erleichtert, dann jedoch umso mehr entsetzt, als er Daniel im Flur sah, auf den Knien, wie er im Lichtkegel einer Taschenlampe mit Brachialgewalt den Telefonanschluss aus der Wand meißelte. Bennos Telefon. In Bennos Flur. Jetzt sah er auch, dass alle Lampenkabel zerschnitten waren. Daniel hatte eine Gartenschere neben sich liegen. Wenn er damit schon im Studio gewesen war, dann hatte er Tausende von Mark vernichtet.
»Was wird das?«, fragte Benno eingeschüchtert, denn Daniels verbissene Betriebsamkeit sah so fanatisch und kraftvoll aus, dass zu fürchten war, er gehe auf jeden los, der den Sinn dieser Tätigkeit anzweifelte.
»Die hören alles mit«, sagte Daniel nur und riss und hackte weiter. Er fiel nach hinten, als er endlich Kabel und Dose in Händen hielt.
»Wer?«
Daniel lächelte nur mitleidig oder herablassend in sich hinein, er sah nicht einmal auf dabei.
»Hör doch auf damit, bitte.« Bennos Stimme klang jämmerlich. Daniel griff nach seinem Werkzeug und ging damit in die Küche. Ein Blick auf den offen stehenden Sicherungskasten zeigte Benno, dass der Strom immerhin abgestellt war.
Benno hatte Angst vor Daniel, obwohl der ihn gnädig ignorierte, aber es war klar, dass in seinem Kopf eine zentrale Schraube draußen sein musste und Benno nichts tun konnte, außer das Studio zu retten, indem er es abschloss. Falls es nicht schon verwüstet war.
Das tat er – es war noch unversehrt –, dann sah er Daniel eine Zeit lang zu, wie er mit grimmiger Gründlichkeit alle Steckdosen und Schalter in der Küche zerstörte und sich dann über Herd und Kühlschrank hermachte. Benno war gelähmt und verzweifelt. Und Daniel ganz ruhig. Er pfiff leise durch die Zähne, eine Melodie, an der sie seit Stunden konzentriert arbeiteten, sie hatten die Figur einer Amsel abgelauscht und sich geärgert, sie nicht geistesgegenwärtig mit dem Walkman aufgenommen zu haben, denn jetzt, da sie ein schönes Stück daraus gemacht hatten, würden sie am liebsten den Part der Amsel als Original einspielen.
Benno zog sich an und ging nach draußen. Er wusste nicht, was tun. Die Polizei holen? Das ging nicht. Das war einfach nicht drin. Nicht nur wegen der Koksbriefchen, die noch herumliegen konnten, und dem Gras in irgendeiner Jackentasche, es kam einfach nicht infrage, den Freund an die Bullen zu übergeben. Ihm musste etwas anderes einfallen.
—
Es war Mai, kurz nach vier Uhr morgens, und die ersten Vögel begannen, noch in der Dunkelheit zu singen. Er ließ den Wagen stehen, ging zur großen Straße und darauf abwärts in Richtung Stadt. Niemand sonst war unterwegs, zu früh für die Zeitungszusteller und schon zu spät für die letzten Nachtschwärmer. Höchstens ein unausgeschlafener Bäcker auf dem Weg zur Arbeit konnte ihm begegnen.
Er hätte es kommen sehen
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