Aprilwetter
müssen. Daniel hatte die letzten Tage gekifft und gekokst, nichts gegessen, nur Wasser getrunken und, wie Benno jetzt erst verstand, auch nicht geschlafen.
Sie waren vor einer Woche von einer kurzen Tour durch Schweden und Norwegen zurückgekommen, und seither hatte Daniel es nicht geschafft, wieder Boden unter die Füße zu kriegen.
Sie rauchten üblicherweise nur nach dem Konzert einen Joint, das half ihnen, wieder herunterzukommen, aber bei Daniel zeigte das Gras auf einmal paradoxe Wirkung. Er wurde immer fahriger und fiebriger, wollte nur noch spielen und aufnehmen, machte Pläne und Konzepte, fing auf einmal an, Diagramme zu zeichnen, die er Benno als Kompositionen präsentierte – Benno begriff nichts und machte einfach mit. Er verstand Daniel auch so. Egal, was auch immer diese Zeichnungen bedeuten mochten, wenn Daniel spielte, wusste Benno, was fehlte, und spielte es dazu. Sie hatten früher schon ähnliche Phasen gehabt, in denen eins zum anderen kam und Schlafen und Essen unwichtig wurden, deshalb dachte sich Benno anfangs nichts dabei, er legte sich einfach hin, wenn er merkte, dass es ihm die Sicherung raushaute, und dachte, Daniel tue dasselbe. Aber immer wenn er aufwachte, war Daniel schon da, wie bei Hase und Igel, und brannte darauf weiterzumachen. In den letzten vier Tagen hatten sie schon das halbe nächste Album entworfen. Und jetzt brach Daniel zusammen. Das war ein Nervenzusammenbruch. Benno musste einen Arzt auftun.
Unten in der Stadt stand er eine Zeit lang vor Daniels Elternhaus und schaffte es weder zu klingeln noch zu gehen. Daniels Mutter war eine kluge und freundliche Frau, vielleicht wüsste sie irgendeinen Rat, vielleicht hätte sie Einfluss auf Daniel, könnte ihn beruhigen oder irgendwie zum Schlafen überreden, aber er hatte vor fast einem Jahr den Kontakt zu ihr abgebrochen und würde erst recht durchdrehen, wenn er sie sah. Benno versorgte sie heimlich mit Nachrichten über ihren Sohn. Natürlich erzählte er nicht, dass Daniel kiffte und kokste, als wolle er damit ins Guinnessbuch kommen, Benno erzählte nur, was ihr keine Sorgen machen würde: dass es Daniel gut gehe, dass er zurzeit keine Freundin habe, dass sie fürs Goethe-Institut nach Ägypten fliegen sollten und ähnliche Dinge.
Er ging eine Weile durch die Stadt, bis er dachte, ich muss nach Hause und aufpassen, dass er nicht noch mehr anstellt. Er nahm sich ein Taxi. Zum Glück hatte er Geld dabei.
—
Daniel lag in der Küche auf dem Boden, schien mitten in der Arbeit eingeschlafen zu sein, offenbar kurz nach Bennos Flucht, denn Herd und Dunstabzug waren noch unversehrt. Nur der Kühlschrank hatte gelitten.
Benno setzte sich neben ihn, den Rücken an die Wand gelehnt. Ihm war zum Heulen zumute. Daniel sah mager und ausgemergelt aus, wie er da lag, den Kopf auf dem harten Terrazzobelag, nicht mal seinen Arm hatte er daruntergelegt. Benno wagte nicht, ein Kissen zu holen, er wollte Daniel auf keinen Fall wecken, denn dann wüsste er wieder nicht weiter. Er stand auf, ging nach unten und sah erleichtert, dass die Studiotür nicht aufgebrochen war. Dann ging er zu Daniel zurück, sah ihm beim Schlafen zu und spürte Übelkeit in sich aufsteigen vor lauter Angst, Verwirrung und Ohnmacht.
Als Daniel schließlich aufwachte, nach vielleicht einer Stunde, kurz nach acht, sagte er: »Ich bin so scheißemüd, ich muss mal richtig schlafen«, und Benno hatte die Eingebung, ihm einen besseren, weil abhörsicheren Ort vorzuschlagen.
»Okay«, sagte Daniel, »die Idee ist echt gut«, und zog sich an, folgte Benno zum Wagen, stieg ein, sprach kein Wort auf der Fahrt, dann setzte er sich im Empfang der Klinik auf eine Bank, während Benno sich nach der Schwester umsah, und schlief wieder ein.
»Er braucht Hilfe«, sagte Benno.
»Drogen?«, fragte die Schwester nach einem Blick auf Bennos Vollbart, lange Haare und esoterisch anmutende Kleidung.
»Auch. Ja. Aber das hier ist was anderes. Er ist richtig übergeschnappt.«
Sie schickte ihn zu einem Dr. Rabenhorst im zweiten Stock und versprach, ein Auge auf Daniel zu haben. »Der sieht mir nicht aus, als würde er gleich wieder aufwachen«, sagte sie in einem Ton, von dem Benno nicht hätte sagen können, ob er skeptisch, verächtlich oder freundlich klang.
Nachdem er dem Arzt alles beschrieben hatte, kam der mit ihm zum Empfang, und sie weckten Daniel, der erstaunt um sich blickte, aber willig mitkam, als Benno erklärte, hier sei ein Bett für ihn.
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Nachdem sich die
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