Aprilwetter
breiter.
»Papa sagt, du bist ein großer Musiker.«
»Das ist relativ«, sagt er, »und falls es gestimmt hat, lang her.«
»Es hat gestimmt«, sagt sie und schaut ihn direkt an dabei. »Ich hab eure CDs gehört. Oft. Ich hör sie heut noch manchmal und find sie immer noch sagenhaft gut.«
Er freut sich über dieses Lob. Eine ganze Generation weiter. Das ist wie Lob aus einem fernen Land oder von einem anderen Stern. Es macht ihn verlegen.
»Und was willst du machen, wenn du nicht ins Hotelfach gehst?«, fragt er, um das Thema zu wechseln.
»Tontechnik«, sagt sie. »Ich lerne bei Papa und geh dann auf eine Schule. Früher musste man konservatoriumsreif Klavier spielen und Partituren lesen, aber heute kann man’s auch so lernen. Veranstaltungstechnik und Studio.«
»Wow.« Mehr fällt Benno nicht ein, als dieser dümmliche Ausruf. Sie imponiert ihm.
»Ich mach noch Eier«, sagt sie, »willst du die Zeitung?«
»Kann ich dir nichts mehr helfen?«
»Nein.«
Er geht mit ihr zurück in die Küche, sie gibt ihm die Zeitung, noch ungelesen, steif und nach Druckerschwärze riechend.
»Ganz frisch«, sagt er. »Bin ich der Erstleser heute.«
»Die liegt hier nur noch rum. Wir müssten sie längst abbestellen, aber Papa rafft sich nicht auf. Mama war bei uns die Zeitungsleserin.«
»Was ist mit ihr?«
»Sie ist tot.«
Es ist ein Reflex. Er kann nicht anders als sie anzustarren, und deshalb sieht er, dass sich ihre Augen röten und ihr Gesicht verschwimmt. Ein weiterer Reflex bringt ihn dazu, sie in den Arm zu nehmen und ihren Kopf an seine Schulter zu drücken, gerade in dem Moment, als sie sich abwenden will, damit er ihre Tränen nicht sieht.
»Das tut mir leid«, sagt er leise und streichelt ihren Hinterkopf, während sie drei tiefe Schluchzer in seine Schulter entlässt und sich dann losmacht, um die Nase zu putzen und seinen Blick zu meiden. Er nimmt die Zeitung und geht nach draußen.
Er blättert nur, liest keinen Satz, er kann sich nicht auf die Schrift konzentrieren, weil er an Sylvia denkt. Die immer so sicher wirkte, sich nie von sich aus am Gespräch beteiligte, aber einmal angesprochen fast immer die Erklärung, den Ausweg, das Urteil, oder den beschlussfähigen Vorschlag präsentierte und einem so das Gefühl gab, man habe Zeit vertrödelt. Benno war nie in näheren Kontakt zu ihr gekommen, vielleicht deswegen – ihre Art hatte immer etwas Zurechtweisendes gehabt. Für Carlo, der zur Eingleisigkeit neigte, war sie die perfekte Ergänzung gewesen. Klug und nüchtern, wenn Carlo nur noch Chaos, Stau und Knoten vor sich sah. Ihr Tod konnte noch nicht lang her sein, sonst wäre Carmen nicht bei der bloßen Erwähnung in Tränen ausgebrochen. Sie tut ihm leid.
—
Nach dem Frühstück, bei dem noch niemand so richtig wach zu sein scheint außer Knecht, der alles kommentiert, was er sich auf den Teller legt, schlurfen sie ins Studio, um Benno die Songs vorzuspielen, die sie aufnehmen wollen. Er fühlt sich ein bisschen unwohl in der Regie mit Carlo, noch immer schockiert von Sylvias Tod und darüber hinaus wie ein Juror oder ein Theaterregisseur beim Vorsprechen, einer der Macht hat, einer vor dem man Angst hat, aber daran ist nichts zu ändern. Er nimmt sich vor, sobald er kann, in den Aufnahmeraum zu wechseln und irgendetwas mitzuspielen. Er will Teil der Band sein oder wenigstens so tun, nicht wie ein Richter hier draußen, hinter der Glasscheibe, den Daumen heben oder senken.
Nach einem kurzen Soundcheck für jedes einzelne Instrument setzt er sich Kopfhörer auf und lässt sich von Carlo den Mix geben, den auch die Band hört. Sie spielen ein Stück, vierstimmig gesungen in einem fließenden Viervierteltakt mit Gitarre, Bassdrum, Bass und kleinen Mandolinenfiguren, das ihn sofort einfängt. Meikes Stimme strahlt gerade so weit hervor, dass sie das Zentrum bildet, aber nicht so weit, dass die anderen zum Hintergrund werden. Das Ganze hat eine große Ruhe, die sich aber auf pulsierendem, nach vorn treibendem Untergrund ausbreitet, der Harmoniegesang drängt immer wieder zur Verdichtung und Emphase, um sich danach gleich wieder samtig und fast wie ein Streichqartett in die Fläche zurückzuziehen. Eigentlich würde er gern die Augen schließen und sich von dieser Musik wiegen lassen, aber er kann den Blick nicht wenden von den konzentrierten und so früh am Morgen schon all ihrer Mittel sicheren Musikern und auch nicht von Meike, die strahlt, sobald sie den Mund aufmacht, und zu verschwinden
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