Aprilwetter
scheint, wenn sie nicht singt.
Sie schauen ihn ängstlich und trotzig an, als der letzte Ton verklungen ist. Er drückt auf den Talkback-Schalter und sagt: »Das ist perfekt. Was ist das für ein Song?«
»Out Of The Woods«, sagt Markus, der die Gitarre gespielt hat, »von Nickel Creek.«
»Ich hab immer noch Gänsehaut«, sagt Benno, »spielt weiter, dann bleibt sie vielleicht.«
Meike lächelt.
»Aber nicht, dass du zum Arzt musst«, sagt Knecht, der Drummer, und hängt sich ein Akkordeon um.
»Das wär’s wert«, sagt Benno und lehnt sich zurück, um das nächste Stück zu hören. Motherland von Natalie Merchant. Das hatte er selbst vorschlagen wollen. Schon nach den ersten Takten wird ihm klar, dass diese Band auf ihre Art so gut ist wie die Jungs aus Nashville. Meike hatte recht, auf ihnen zu bestehen. Tom, der Geiger, hat einen phantastischen, voluminösen Ton und, bei aller Begeisterung für die Bluegrass- und Countryklischees, auch etwas Europäisches. Seine Geige klingt anders als bei Amerikanern. Persönlicher. Solistischer. Sie animiert nicht nur zur Ausgelassenheit oder Elegie, sondern fragt, fasst an und erinnert in manchen Momenten an den Gesang einer Lerche. Knechts Akkordeon aquarelliert eine durchsichtige Fläche mit nur wenigen Figuren, und Markus, der jetzt Pedal Steel spielt, zeigt auch, wie man Genreklischees respektieren und trotzdem erweitern kann, er setzt die Emphase an rhythmisch extravaganten Stellen ein, sodass der Song immer wieder gleichzeitig als Walzer und als etwas anderes, eine Vierviertelballade etwa, gehört werden kann.
»Ich bin total begeistert«, sagt Benno ins Talkback-Mikrofon, als Meike ihre Gitarre von der Schulter zieht, »ich weiß nur nicht, was ich hier soll. Ihr braucht keinen Produzenten. Nur Carlo, der alles aufnimmt.«
Sie strahlen ihn an.
»Das waren die guten Songs«, sagt Markus, »jetzt kommen die schwachen. Bitte bleib noch.«
Benno lacht. Die Band beginnt das nächste Stück. Es ist Red Dirt Girl , das er damals in Nashville schon mit Meike gespielt hat. Nach weiteren fünf Songs, von denen Benno nur zwei kennt und die er ausnahmslos gut findet, kündigt William, der Bassist, »das traurigste Lied der Welt« an. Er erkennt das Muster, eine Art Gitarrengirlande, die sich um sich selbst windet, noch bevor Meike zu singen beginnt – er hat das Stück in Nashville live gehört. John Doe No. 24 von Mary Chapin Carpenter. Und es juckt ihn sofort in den Fingern mitzuspielen, etwas in tieferer Lage unter die Girlande zu setzen, eine mehr pulsähnliche Figur, die sich in größeren Abständen um das Ganze schlingt. Er schlägt es vor, nachdem sie fertig gespielt haben, und sie winken ihn wortlos in den Aufnahmeraum.
—
Mit Meikes Gitarre deutet er an, was er meint, und sie strahlen ihn an wie Kinder den Nikolaus, der seine Rute vergessen hat. Tom nickt, Knecht macht eine Art von Hofknicks, William ballt die Fäuste, als habe er ein Zielband durchlaufen, Markus lacht von Ohr zu Ohr, und Meike springt auf und sagt: »Ich hol dir deine Martin.«
Die Musiker schlurfen raus auf die Wiese, nur Markus bleibt, um mit ihm zu üben. Der Song geht über die ganze Strecke nur mit Gitarren und Meikes Gesang, erst zum Schluss, zu einem zarten atmosphärischen Akkordeonsolo, setzt der Bass ein und spielt Meike einen winzigen Rhythmus mit zwei Fingercymbals.
Auch Meike lässt sie allein üben, nachdem sie ihm die Gitarre überreicht hat. Er stimmt, und sie fangen an, und es ist wie Nachhausekommen. Benno weiß sich auf einmal, nach so langer Zeit, wieder am richtigen Ort. Das ist meine Provinz, denkt er, das ist der Platz, an dem ich nicht absurd bin, nicht nur eine Art Frage an die Welt, sondern jemand, der Antworten auf die Fragen anderer weiß. Die richtigen Töne.
Es ist, als wäre Christine da. Als stünde sie neben ihm oder in der Regie neben Carlo, als wäre sie noch immer die Muse, deren Gegenwart alles leicht und richtig macht – nach einiger Zeit, in der sie immer dieselbe Sequenz spielen und er nur noch mit verschiedenen Betonungen experimentiert, merkt er, dass er nicht mehr an die Musik, sondern nur noch an Christine denkt, und eine Ruhe überkommt ihn, als habe er vierzehn Jahre lang nur hyperventiliert und dürfe jetzt, hier, mit einem Gitarristen neben sich, der sein Handwerk versteht, endlich ausatmen. Wenn er nicht zu Markus hinüberschaut, dann fühlt es sich fast so an, als wäre Daniel neben ihm.
»Das wird schön so«, sagt er schließlich
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