Arabiens Stunde der Wahrheit
wiedergeboren.
Eine erbliche Priesterkaste, die »Schuyukh«, wachte darüber, daà der Zugang zu den Mysterien und zum »Tor«, zum »Bab«, der Offenbarung auf die Eingeweihten beschränkt blieb. Die weltliche Feudalschicht kriegerischer Clanchefs rivalisierte gelegentlich mit diesen geistlichen Führern. Floriol hatte uns seine Kenntnisse mit vielen Vorbehalten vorgetragen. Nachdrücklich wandte er sich gegen die böswilligen Verleumdungen, mit denen die sunnitischen Ulama diese Häretiker zudies zu diskreditieren suchten. Demnach beteten die Alawiten die Sonne, den Mond, die weiblichen Genitalien und gewisse Bäume an, ja ihre religiösen Feste würden zu wilden Orgien ausschweifen.
Diese ewig bedrängte Minderheit hatte die Chance mit beiden Händen ergriffen, die ihnen die französische Mandatsmacht in den zwanziger Jahren bot. Das sunnitische Bürgertum war vor allem am Handel und am Ertrag ihrer Latifundien interessiert. Die Alawiten drängten sich in die militärische Laufbahn der »Forces supplétives« und verschafften sich somit nach Proklamation der syrischen Unabhängigkeit Zugang zu den Schlüsselpositionen der jungen Republik.Andere hatten sich als Lehrer ausbilden lassen, schlossen sich als unausgegorene Halbgebildete diversen sozialistischen Bewegungen und vor allem der Baath-Partei an, die sie mit ihrem eingefleischten Clan-Geist systematisch unterwanderten. An der Baath-Revolution von 1963 hatten sie maÃgeblichen Anteil. Ihre wirkliche Stunde schlug 1970, als Hafez el-Assad sich im Präsidentenpalast von Damaskus installierte. Seitdem kontrolliert diese verschworene Gemeinschaft, die nur zwölf Prozent aller Syrer ausmacht, eine arabische Republik, deren erdrückende Mehrheit sich zur sunnitischen Rechtgläubigkeit bekennt.
Trotz ihrer frühen Abwendung von der traditionellen schiitischen Gemeinschaft â sie hatten ursprünglich der sogenannten Siebener-Schia angehört, die statt der zwölf Imame der persischen und der mesopotamischen Glaubensrichtung nur sieben anerkennt â fühlten sich die Alawiten, wie ihr Name besagt, der »Partei Alis« weiterhin verbunden. In Ruhollah Khomeini sahen sie einen fernen Bruder im Glauben, und in der iranischen Revolution einen Parallelfall zu ihrer eigenen Auflehnung gegen die Vorherrschaft der Reichen und Hochmütigen, der Sunniten. Nur gebot ihnen die schiitische Verschleierung, die Taqiya, die auch sie praktizierten, ihre geheime religiöse Revanche über die Sunna in den Tarnmantel einer säkularen und rein sozialistischen Reformbewegung zu kleiden. Kein Wunder auch, daà die Alawiten-Clique von Damaskus im Libanonkonflikt für die schiitischen Milizen von El Amal und später der Hizbullah Partei ergriff.
Am Ende meiner Reise durch das Ansarieh-Gebirge stand eine geradezu wagnerische Vision: »Le Krak des Chevaliers«, auf arabisch »Qalaat el Hosn«, die gewaltigste, klotzigste Festung, die die Kreuzritter im Umkreis des Heiligen Landes hinterlieÃen. Der Krak paÃt überhaupt nicht in diese offene Landschaft, unter dieses blaue Firmament. Aus den Nebeln des Abendlandes, aus der ungestümen, himmelstürmenden Frömmigkeit des fränkischen Rittertums und seiner keltischen Legenden ist diese Gralsburg aufgetaucht. Die rauhen Barone aus dem christlichen Westen waren als Barbaren in den Orient eingefallen. Dem Zivilisationsstand der ÂByzantiner,die sie verachteten, und der Muslime, die sie als Gegner schätzten, waren sie weit unterlegen. Aber welch kolossale Kraft äuÃerte sich in der Aufschichtung dieses trutzigen Monuments.
Die Kirche von Konstantinopel hatte ihre Mönche und Kleriker stets zum Waffenverzicht und zur Friedfertigkeit verpflichtet. Die streitbaren Ordenskrieger, die die Ungläubigen mit Schwert und Feuer bekämpften und notfalls ausrotteten, waren Ausdruck jener germanisch-lateinischen Verschmelzung, die die Nachfolger Karls des GroÃen zu ihrem historischen Adlerflug befähigte. Auf den Kampfschrei des Korans »Allahu akbar« antwortete der christliche Schicksalsruf: »Deus vult â Gott will es so!« Gesta Dei per Francos â »Die Taten Gottes, von den Franken ausgeführt« â hatte der Chronist Godefroy de Comines seine Schilderung einer späten Phase der Feldzüge gegen die Muslime betitelt.
Wer kann sich noch zurechtfinden in den religiösen und
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