Arabiens Stunde der Wahrheit
Dreifaltigkeit â geworden, und an dieser Extravaganz offenbarte sich die heimliche Tragödie, vielleicht auch die Brüchigkeit des Systems.
Die beiden Söhne des Präsidenten, Basil und Bashar, waren in die Heldenverehrung des Vaters mit eingeschlossen worden. Der 29jährige Basil, der designierte Nachfolger, war 1994 bei einem ganz banalen Autounfall seines Turbo-Porsches ums Leben gekommen, und sein um vier Jahre jüngerer Bruder Bashar, der keinerlei politische Ambitionen hegte und sich in London auf eine friedliche Existenz als Augenarzt vorbereitete, muÃte nun in aller Eile propagandistisch aufgebaut, mit staatsmännischen Tugenden geschmückt werden. Dazu gehörte unter anderem, daà er mit einem Schlag vom Major der Reserve zum General befördert wurde.
Bashar ist ungewöhnlich hoch und hager gewachsen. Sein relativ kleiner Kopf fordert den Vergleich mit einem angespitzten Bleistift heraus. Bemerkenswert sind die wachen, blauen Augen, die Liebenswürdigkeit, aber auch groÃe Härte signalisieren können. Er ist mit einer emanzipierten syrischen Sunnitin verheiratet, die in London aufgewachsen ist. Nach dem hemmungslosen Personenkult, der dem Bruder Basil gewidmet worden war, würde eine Heroisierung Bashar el-Assads, in den der Westen manche Hoffnung setzte, schwer zu realisieren sein. Blieb also die Allgegenwart des vereinsamten, dominanten Vaters mit dem künstlich aufgesetzten Lächeln im asketischen Gesicht und dem grüÃend erhobenen Arm.
Die Russen in Aleppo
Aleppo, Oktober 2009
Versetzenwir uns in das Jahr 1997 zurück. In Damaskus ging im Mai die Frage um, wie lange das Einmannregime der Baath-Partei noch erhalten bleiben könne. Die westlichen Diplomaten muÃten oft viele Monate auf eine Audienz beim Staatschef warten, und schon überschlugen sich die MutmaÃungen über dessen Gesundheitszustand. Die diversen Krankheitshypothesen â Krebs, Zucker, Arteriosklerose â wurden hinter vorgehaltener Hand aufgezählt.
Ohne irgendeine Formalität und ohne eine Erlaubnis einzuholen, habe ich mich wieder auf den Weg nach Aleppo gemacht. Die Stadt schien zu einer provinziellen Alltäglichkeit zurückgefunden zu haben. Auch nach Einbruch der Dunkelheit waren in der kunstvollen Höhlenwelt des Suq keine bewaffneten Milizionäre anzutreffen. Nirgendwo fanden sich mehr die rebellischen Flugblätter der Opponenten, die früher immer mit dem Satz endeten: »Er nennt sich âºel Assad, der Löweâ¹; in Wirklichkeit müÃte er âºel wachsch, das Ungeheuerâ¹ benannt werden.«
Das Ende des Kalten Krieges hatte Syrien hart getroffen. Von der Zusammenarbeit mit der Sowjetunion war wenig übriggeblieben. Zur Zeit des Kräftemessens zwischen Washington und Moskau begegnete man in Aleppo und in den Hafenstädten robusten, blonden Männern in Zivil, denen man die Zugehörigkeit zu den sowjetischen Streitkräften auf den ersten Blick ansah. Sie waren jetzt durch eine weniger rühmliche Kategorie von Schiebern abgelöst worden. Zwar benötigten die Streitkräfte des Präsidenten Hafez el-Assad weiterhin die technische Kooperation von etwa dreitausend russischen Militärexperten, und sei es nur, um ihre Panzer zu modernisieren oder die Kampfflugzeuge recht und schlecht zu warten. Die russischen Diplomaten in Damaskus gaben offen zu, daà sie die tiefe arabische Enttäuschung zu spüren bekamen. Von dem früheren Freundschafts- und Beistandsverhältnis mit der Sowjetunion war nunmehr wenig übriggeblieben. Bei den syrischen Offizieren sammeltesich Bitterkeit an, seit Jelzin mit Clinton zu fraternisieren schien und der Kreml sich gelegentlich beim Judenstaat anbiederte.
Die neuen Mafiosi â flankiert von ihren Kollegen und auch Rivalen aus Usbekistan, Kasachstan und Aserbeidschan â hatten den Schwerpunkt ihrer zwielichtigen Aktivitäten im Umkreis des »Hotel Baron« etabliert. An dieser einst exklusiven Adresse des verflossenen Osmanischen Reiches waren die Passagiere der »haute volée« abgestiegen, darunter die Autorin Agatha Christie, Theodore Roosevelt, Lady Mountbatten und viele andere. Es hatte in dieser kleinen, aber exklusiven Luxusherberge der damaligen Endstation des Orientexpreà eine gallisch-levantinische Akkulturation stattgefunden, die längst erloschen ist.
Im Mai 1997 war die verkommene Unterkunft nur noch ein Schatten ihrer
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