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Arabiens Stunde der Wahrheit

Arabiens Stunde der Wahrheit

Titel: Arabiens Stunde der Wahrheit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Peter Scholl-Latour
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kalkulierbarer Faktor.
    Dem türkischen Konsul war das Gespräch wohl doch zu heikel geworden. Er verabschiedete sich in höflicher Eile. Auch ich entschloß mich zu einem späten Rundgang durch die verschmutzten Geschäftsgassen. In jedem zweiten Torbogen stand irgendein bewaffneter Jüngling. Aleppo schien unter permanentem Belagerungszustand zu leben. Im überdachten Suq, einem Prachtstück altorientalischer Baukunst, verrammelten die Ladenbesitzer ihre »Dukkan«, deren Angebot ohnehin Ramsch war. Von den Steinwölbungen hingen zahllose Zettel in den Farben des Regenbogens. Sie waren mit Versen des Korans beschriftet. Die Moscheen waren zum Abendgebet gut besucht. Argwohn und Angst waren seit den furchtbaren Ereignissen von Hama allgegenwärtig, klebten wie Pech an jedem Passanten, spiegelten sich in dem rastlos schweifenden Blick. Erst im Umkreis des pyramidenähnlichen Kegels der Ayyubiden-Zitadelle atmete ich auf. Hier war kein Gedränge und Geschiebe mehr. Über den Zinnen der Burg flimmerten die ersten Sterne. An den Tischen der Straßencafés verharrten ein paar in sich gekehrte Greise, ließen den Trubel der Politik an sich vorbeirauschen und saugten an gurgelnden Wasserpfeifen.
    Die Geheimnisse der Alawiten
    Kaumeine Offenbarungslehre des Orients ist so in sich verkapselt, so verschlossen wie die der Alawiten. Die Gebirgsdörfer im Hinterland von Lattaqiya und Tartus haben von dem kometenhaften Aufstieg eines der Ihren, des Generals Hafez el-Assad, profitiert. Die armseligen Lehmkaten von einst wurden durch schmucklose, aber relativ wohnliche Zementbauten ersetzt. Geld war reichlich vorhanden dank des Wehrsoldes, den die jungen Männer nach Hause brachten. Fast alle Alawiten im waffenfähigen Alter standen im Dienste des Regimes. Zwanzigtausend dienten damals in den Verteidigungsbrigaden des Präsidentenbruders Rifaat el-Assad. Ein Neffe des Staatschefs, Oberst Adnan Rifaat, kommandierte eine rein alawitische Miliz, und dazu kamen die berüchtigten Sondereinheiten des Oberst Ali Haydar sowie die weitverzweigten ­Geheimdienste, die allgegenwärtigen »Mukhabarat«. Die Regierungssprecher verwiesen natürlich darauf, daß im »Regionalkommando« der Baath-Partei von 21 Mitgliedern nur vier Alawiten vertreten seien. Aber die wahre Macht in Syrien lag nun einmal bei der Armee und den Spitzeldiensten.
    Bei der Fahrt durchs Gebirge machte Samuel mich auf die Heiligengräber aufmerksam – »Ziara« genannt –, grüne Kuppelbauten im Stil maghrebinischer Marabuts, die stets von breit ausladenden Bäumen überschattet waren. In synkretistischer Verbindung mit dem Islam hatte sich offenbar eine Art Naturkult bei den Alawiten erhalten. Was ich von dieser Gemeinschaft wußte, ging auf den Vortrag eines ehemaligen Offiziers der französischen »Forces Spéciales du Levant« in unserem Sprachinstitut von Bikfaya zurück. Commandant Floriol machte keinen Hehl daraus, daß die französische Mandatspolitik in der Levante einen Ministaat der Alawiten ins Leben rufen wollte. Im Gegensatz zu den Drusen des Djebl Drus, die erst nach schweren Kämpfen unterworfen wurden, fügten die Alawiten sich in das von Paris ausgeklügelte System. Sie waren stets gehetzt und gedemütigt worden. Der türkische Sultan SelimI. hatte im fünfzehnten Jahrhundert zu einem Ausrottungsfeldzug gegen diese Ketzer ausgeholt. Sie lebten an den steinigsten Hängen als Pächter und Tagelöhner sunnitischer Großgrundbesitzer. Der Umstand, daß die Ausbeuter vornehmlich in Hama beheimatet waren, erklärt vielleicht die Unerbittlichkeit des Strafgerichts, das über die aufsässige Stadt im Februar 1982 niederging.
    Major Floriol hatte wenigstens einen Zipfel ihrer Geheimnisse gelüftet. Im neunten Jahrhundert, so schien es, hatten sich die Alawiten von der schiitischen Glaubensrichtung des Islam gelöst. Ali war nun beinahe Gott und Bestandteil einer seltsamen Dreifaltigkeit, der natürlich der Prophet aus Mekka, aber auch ein gewisser »Salman« angehörte. Salman leitete sich wohl von dem arabischen Namen Suleiman ab und sei mit dem biblischen König Salomon identisch. Mit ihrem gnostischen Astralkult huldigte diese esoterische Lehre einem verschwommenen Pantheismus, ja neben christlichen Relikten schienen sogar Elemente der Seelenwanderung vorhanden, denn die Bösen wurden als Tiere

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