Arabiens Stunde der Wahrheit
einiger Phantasie, um nordische Züge an ihnen zu entdecken.
Auf den ersten Blick hatte sich das Hotel »Baron« in Aleppo seit meinem letzten Aufenthalt im Sommer 1951 kaum verändert. Kein Möbelstück war ausgetauscht oder auch nur verrückt worden. Aber was damals noch osmanischen Pomp, gepaart mit französischer Mandatsherrlichkeit ausdrückte, war jetzt verstaubt, verdreckt, brüchig. Die holzgetäfelte Bar war mit müden Orientalen gefüllt. Das Empfangspersonal hätte einer Zuchthausbewachung Ehre gemacht. Das Spitzelwesen entbehrte jeder Diskretion. An der Bar kam ich beim obligaten Arak mit einem eleganten jungen Türken ins Gespräch, dem Typus nach Offizier. Er gab sich als türkischer Konsul in Aleppo zu erkennen. Er hatte in Frankreich studiert und gab unumwunden zu, daà der Raum von Aleppo, der unmittelbar an den immer noch umstrittenen Sandschak von Iskenderun grenzt, für Ankara ein eminent wichtiges Gebiet sei. »Wir haben uns allÂzusehr dem arabischen Orient entfremdet und zu einseitig nach Westenausgerichtet«, meinte der türkische Konsul. Die Agitation der Muslimbrüder, die vor allem auch auf Aleppo übergegriffen hatte, wurde von den türkischen Behörden mit Sorge registriert.
»Hier findet eines der gröÃten Versteckspiele der Weltpolitik statt«, sagte der Konsul. »Hafez el-Assad hat Syrien zum Freund und Verbündeten der Sowjetunion gemacht. Die syrische Armee ist mit russischem Material überreichlich ausgestattet. Dreitausend sowjetische Offiziere sind hier als Berater und Ausbilder tätig, dazu kommen zweitausend Zivilexperten und deren Familien. Die Rote Flotte verfügt im Hafen von Tartus über weitgehende Fazilitäten. Trotzdem regen wir uns darüber nicht übermäÃig auf, und die Amerikaner zeigen noch gröÃere Gelassenheit. Moskau erscheint der syrische Präsident als verläÃlicher Partner und Syrien als die unentbehrliche strategische Drehscheibe in Nahost. In Wirklichkeit ist der Einfluà der Russen begrenzt. Sie haben keinen Zugang zu den hohen Kommandostellen des Staates und der Streitkräfte. Der russische Botschafter muà tagelang beim Präsidenten antichambrieren, während die Emissäre Washingtons â sei es Kissinger früher oder Philip Habib heute â binnen fünfzehn Minuten vorgelassen werden. Die Russen sind für die Syrer angesichts der brisanten Palästina-Situation wichtig und nützlich, aber man schätzt sie gering, und niemand bewundert sie. Wenn es den Ikhwan gelingt, einen sowjetischen Offizier zu erschieÃen, geht ein Raunen der Schadenfreude durch die Bazargassen. Die Amerikaner hingegen, die sind Trumpf â verhaÃt gewiÃ, wegen ihrer Bindung an Israel â, aber Washington gilt hier als Weltmacht ersten Ranges. Dort befinden sich Reichtum und moderne Technologie. Daneben erscheinen die Russen â zu Unrecht wahrscheinlich â als arme Schlucker.«
Der deutsche Honorarkonsul, ein orthodoxer Christ, dessen verschnörkeltes Mobiliar und wertvolle Antiquitäten ich am Vortag bewundert hatte, gesellte sich zu uns. Er pflichtete dem Türken bei. Hafez el-Assad, so ergab sich im Gespräch, sei für alle Beteiligten im Nahost-Spiel eine unersetzliche Figur. Natürlich für die Russen, mit denen er einen Freundschaftspakt unterzeichnet hatte; aber auch für die Amerikaner, denn die sehr eigenwillige Politik des Baath-Regimeshabe Syrien von der übrigen arabischen Staatenwelt isoliert, sorge dafür, daà die vielgepriesene Einheit des arabischen Lagers illusorisch bleibe.
»Das klingt alles sehr zynisch, aber stellen Sie sich vor, die IslamiÂsten kämen hier an die Macht«, erklärte der deutsche Honorarkonsul, »wie groà würde dann die Gefahr eines Ãbergreifens ihrer theokratischen Ideologie auf alle umliegenden, bislang noch gemäÃigten Staaten sein.« Der sozialistische Laizismus der Baath-Politiker von Damaskus, gepaart mit deren haÃerfüllter Frontstellung gegen die feindlichen Baath-Genossen von Bagdad, das seien wirksame Garanten der arabischen Spaltung und der arabischen Ohnmacht. Auch die Israeli hätten das begriffen. Ihre Verbalattacken gegen Assad entsprächen einer propagandistischen Pflichtübung. Hinter dieser Nebelwand sei der syrische Präsident auch für die Zionisten das geringere Ãbel und ein durchaus
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