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Arabiens Stunde der Wahrheit

Arabiens Stunde der Wahrheit

Titel: Arabiens Stunde der Wahrheit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Peter Scholl-Latour
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Haydar, die sich in der Ayyubiden-Zitadelle von Aleppo verschanzte und zur gnadenlosen Vergeltung ausholte. Im Frühjahr 1981, so schien es, war der Aufstand der Muslimbrüder, die sich inzwischen zu einer »Vereinigten islamischen Front« zusammengetan hatten und ganz offen eine islamische Revolution propagierten, unter den Kugeln und den Folterinstrumenten des Baath-Regimes zusammengebrochen. Selbst erfahrene westliche Beobachter gaben diesen fanatisierten Oppositionellen, die sich als Mujahidin bezeichneten, keine Chance mehr, zumal ein großer Teil des sunnitischen Bürgertums und der städtischen Kaufmannschaft, denen Hafez el-Assad mit wirtschaftlichen Liberalisierungsmaßnahmen entgegengekommen war, für eine fundamentalistische Machtergreifung und die damit verbundene engstirnige Anwendung der Vorschriften der Scharia nicht zu begeistern war.
    Dennochstand der grausige Höhepunkt des Bürgerkrieges erst noch bevor. Die Stadt Hama erhob sich 1982 wie ein Mann gegen Hafez el-Assad. Die Sicherheitsorgane und Garnisonen wurden vertrieben oder ausgelöscht. Die ersten Verstärkungen aus Damaskus, dazu gehörten Eliteeinheiten der Fallschirmjäger, wurden aufgerieben. Da gab es kein Halten und keine Gnade mehr. An Hama sollte ein Exempel statuiert werden. Luftwaffe, schwere Artillerie, Panzerkolonnen wurden gegen die muslimischen Umstürzler aufgeboten. Ein Strafgericht sondergleichen ging über der Stadt nieder, die einst wegen ihrer historischen Sehenswürdigkeiten und ihrer rastlos ächzenden Wasserräder berühmt war. Der Befehl war erteilt worden, keinen Stein auf dem anderen zu lassen. Die Moscheen wurden gesprengt und – um den Eindruck religiöser Einseitigkeit zu vermeiden – auch die christlichen Kirchen dem Erdboden gleichgemacht. Unter den Trümmern lagen unzählige Opfer. Vorsichtige Schätzungen sprachen von zwanzigtausend Toten.
    Samuel verstummte, als wir uns dem Trümmerfeld näherten. Die große Achse Damaskus–Aleppo führt zwar nicht durch das enge, innere Straßenlabyrinth von Hama, aber sie macht auch keinen Bogen um die Stadt, so daß die Verwüstung keinem Durchreisenden entging. Hama sah aus wie eine deutsche Stadt nach einem Flächenbombardement des Zweiten Weltkrieges. Die vom Schutt mühsam geräumten Straßen waren fast menschenleer. Ein paar Frauen in schwarzem Umhang huschten durch die Trümmer. Die Sicherheitstruppen waren besonders zahlreich und nervös. Die »Rosa Panther« hielten uns die Kalaschnikow unter die Nase. Aber ich wußte seit ein paar Tagen, welches das beste Passierwort war: »Ajnabi«, zu deutsch »Ausländer«. Die eigenen Landsleute waren zutiefst verdächtig. Der Fremde hingegen blieb ein Außenseiter, wirkte harmlos, wurde höflich durchgewinkt. Bulldozer waren ­dabei, die Schuttberge beiseite zu schieben. Sprengkommandos ­ebneten zerbrochene Mauerwände vollends ein. Die Untat von Hama sollte durch die Planierung der Ruinen recht und schlecht kaschiert werden. Über dem Horror und dem Morden lächelte das Bild des Präsidenten, des »Sohnes des Volkes«. An der Ausfahrt fiel mirein Transparent aus besseren Zeiten auf: »Thanks for your visit to Hama«, war auf englisch zu lesen.
    Die Sonne stand tief, als wir Aleppo zustrebten. Die ländliche Umgebung wirkte jetzt doppelt friedlich und mild. Auf dunkelbraunem Acker schimmerte hellgrüne Saat. Silberne Olivenhaine, weißblühende Kirschbäume verklärten den violetten Abend. Die runden Lehmbauten, in denen damals die armen Dorfbewohner lebten, liefen spitz nach oben aus und glichen Bienenkörben. Wieder hielten uns Milizionäre an, dieses Mal in Räuberzivil. »Die meisten dieser Posten sind Alawiten aus dem Gebirge rund um den Hafen Lattaqiya«, erklärte Samuel. »Für sie ist Ali wichtiger als Mohammed, und es heißt sogar, sie beten den Schwiegersohn des Propheten an. Haben Sie den rassischen Typus dieser jungen Leute beobachtet? Viele von ihnen sind blond oder rothaarig und haben blaue Au­gen. Im Volksmund wird behauptet, sie seien Nachkommen der ­frän­kischen Kreuzfahrer, und manchmal nennen wir sie ›unsere Deutschen, unsere Germanen‹. Deshalb sind sie auch so rauh und kriegerisch.« Tatsächlich wirkten diese Bauernburschen aus den alawitischen Bergdörfern kein bißchen levantinisch. Es bedurfte jedoch

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