Arabiens Stunde der Wahrheit
Restaurant, wo unter trostloser Neonbeleuchtung die bescheidenen euÂropäischen Familien schweigend ihre Ravioli aÃen, drang aus dem Nebenzimmer lautes arabisches Rufen. Dann sangen die tuneÂsischen Studenten, und durch das Speiselokal hallte ein zügiger Rhythmus, der an den libanesischen »Dabke« erinnerte.
In diesem »Matâam« habe ich mich mit Hans-Jürgen WischÂnewski verabredet. Seit längerer Zeit war ich mit dem SPD-Politiker, einem engen Vertrauten Helmut Schmidts, befreundet. Daran hatte der Umstand nichts geändert, daà Wischnewski â »Ben Wisch« genannt â sich mit voller Energie für die algerische Unabhängigkeit einsetzte und so sehr das Vertrauen der »Befreiungsfront« genoÃ, daà sie ihm vorübergehend die Aufbewahrung ihrer Kriegskasse anvertraute. Was mich betraf, so betrachtete ich von Anfang an das Engagement einer halben Million französischer Soldatenzur Erhaltung oder zur Schaffung der »Algérie franc¸aise« als einen fatalen Irrtum, aber meine Sympathie für die dort eingesetzten »Paras« war mir natürlich erhaltengeblieben. Das trübte mein Verhältnis zu Ben Wisch nicht, der seine Aktion ohne jeden antifranzösischen Affekt durchführte. Er vermittelte mir den Zugang zu den führenden Kommandeuren des algerischen Widerstandes, die sich in Tunis aufhielten.
So trat Si Mohammedi, als Oberst Naceur im Maquis von Algerien bekannt, an unseren Tisch. Der herkulisch gebaute Kabyle mit dem sanguinisch roten Gesicht wirkte fast europäisch. Er war ein Mann des Untergrundkampfes, noch nicht an die Salons von Tunis gewöhnt. Si Mohammedi hatte während des Zweiten Weltkrieges in einer muselmanischen Sondereinheit der deutschen Wehrmacht als Feldwebel gedient. Er war im Sommer 1942 dabei, als das deutsche Oberkommando zum groÃen Zangengriff nach dem Orient â über Ãgypten im Süden und den Kaukasus im Norden â ausholen wollte. Er hat später in der Kalmücken-Steppe gekämpft und wurde zur Zeit des Tunesien-Feldzuges hinter den alliierten Linien in Ost-Algerien bei Tebessa in deutschem Auftrag abgesetzt. Si Mohammedi war ein rauher Sohn des Krieges. Aber er hielt sich an die Weisung gröÃter Höflichkeit und offizieller MäÃigung, die der militärische Befehlshaber Krim Belkassem ausgegeben hatte. Hans-Jürgen Wischnewski hatte Si Mohammedi auf die Seite genommen und sprach mit ihm über die beschleunigte Rückführung desertierender Fremdenlegionäre.
Tunis wimmelte von Agenten, Spionen und Geheimpolizisten. Die Perfektion des tunesischen Spitzelsystems knüpfte an eine lange türkische Tradition an. In den trüben Bars des Boulevard Bourguiba, wo sich die Partisanen auf Stadturlaub trafen, unter dem trostlosen Neonlicht eines entzauberten Orients, bewegten sich die verdächtigen Gäste â Aufständische, Waffenhändler, Nachrichtenübermittler â wie Krebse in einem Tümpel. Jeder beobachtete und überwachte jeden. Die Statisterie eines drittrangigen Spionagefilms war hier versammelt. Die wenigen Mädchen waren wie für das SpotÂlight einer Bühne geschminkt.
Bevorich durch ein mittelalterliches Stadttor die engen StaÃen der Medina, der Araber-Stadt, betrat, blieb ich verdutzt unter zwei blauen StraÃenschildern stehen. Da hieà der gröÃte, repräsentative Platz der tunesischen Hauptstadt weiterhin »Place de France«, und an ihm entlang verlief die »Rue du Général de Gaulle«. Die Tunesier sind ein liebenswürdiges Volk, und die Unabhängigkeit war Âihnen nicht zu Kopf gestiegen. Selbst die polemischen Inschriften zur staatlich angeordneten Sauberkeitskampagne: »Befreit Euch vom Schmutz, wie Ihr Euch vom Kolonialismus befreit habt!« Âwaren nicht ganz so böse gemeint. Zum ersten Mal seit meiner Ankunft in Nordafrika besuchte ich eine Medina ohne die geringste Beklemmung und ohne böse Vorahnung. Wie unendlich weit erschien hier die erstickende Kasbah von Algier. Im Vorbeigehen fiel mir auf, daà über den meisten Buden und maurischen Cafés neben dem Bild des Staatspräsidenten Bourguiba und dem roten tuneÂsischen Fähnchen auch der grün-weiÃe Wimpel der Algerischen Befreiungsfront flatterte.
Bei der algerischen Vertretung in der Rue de Corse herrschten MiÃmut und Empörung. Die militärischen Meldungen, die
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