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Arbeit und Struktur - Der Blog

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Titel: Arbeit und Struktur - Der Blog Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang Herrndorf
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immer zu vergessen. Aber ich vergesse es immer.

    Die Hunde hetzen mich, ich töte einen nach dem anderen auf entsetzliche Art, später in der Nacht ist C. gestorben, später kommt der Morgen.

    1.6. 2013 4:32

    Traum: Ich habe ein Grab im Grunewald gekauft. Ich fahre in die Novalisstraße, wo C. meine alte Wohnung bewohnt. Sie ist nicht zu Hause. Ich schließe mein Rad im Garten an. Dort ist das Grab 92 A. Das ist meins. Die Erde ist frisch ausgehoben. Ich habe meinen Rechner dabei und klappe ihn auf, um zu schauen, ob das W-Lan von C.s Wohnung bis hierhin reicht. Tut es nicht. Ich schwenke das Macbook vor der verschlossenen Wohnungstür. Ich habe keinen Schlüssel.

    1.6. 2013 18:46

    Seit Tagen Regenwetter. Spaziergang um den See mit C., auf den Steinstufen kurzentschlossen ins Wasser. Erkenntnis, daß ich schwimmen kann und daß C. mich läßt, kein Mensch außer uns, die Brust weitet sich, unter den tropfenden Bäumen, will gar nicht mehr raus aus der Kühle.

    2.6. 2013 11:48

    Ein Irrsinn jeder Tag. Gleichgültigkeit, Manie, Angst, Freude, Arbeit,Begeisterung im Minutentakt.

    Ausnahmsweise hat C. die ganze Nacht einen Panikanfall, und ich mache, was C. sonst macht: nichts, ruhigsein.

    Am Morgen mit dem Taxi nach Hause zu C. und ihren Medikamenten gefahren und gleich zu mir zurück.

    4.6. 2013 7:21

    Seit über zehn Jahren gibt es keine sehr starke Verbindung mehr zwischen Passig und mir in unseren Leben, abgesehen von gegenseitigen ausufernden Auslöschungsphantasien in unseren Träumen. Zuletzt im März haute ich Passig solange mit dem Hammer auf den Kopf, bis sie tot war. Passigs Traum der letzten Nacht:

    “Ich lese alles über einen mir bis dahin ganz unbekannten, ungelösten Mordfall aus Deggendorf. Mindestens fünf Menschen sind ums Leben gekommen, und obwohl es zahlreiche Spuren gibt, sind die Täter nie gefaßt worden. Unter den Toten ist Herrndorf. Augenzeugenberichten zufolge ist er aufgegessen worden. Natürlich können wir nichts über seine letzten Gedanken wissen, aber ich nehme an, sie lauteten: ‘Schade, dass niemand davon erfahren wird, das hätte Verboten Wolf gefallen.’”

    10.6. 2013 22:46

    Sitze mit Blick über den Sonnenuntergang wie fast jeden Abend, links die marokkanische Mondsichel, trinke Minztee mit kiloweise Zucker und lade zum Gebet rufende Muezzins auf Youtube und beschalle meinen Hof damit. Auf dem Gelände der Neurochirurgie hebt sich eine nicht sehr große grüne Kuppel in den roten Himmel.

    11.6. 2013 18:46

    Meiner Bergstraßentruppe bei ihrem Turniersieg in der Kleinen Hamburger Straße zugeguckt. Sie schicken zehn Mannschaften vom Platz, darunter, was mich am meisten freut, den Veranstalter, einen Kleintierzüchterverein mit dem sensationell beknackten Namen Autonama.

Einundvierzig : 

    20.6. 2013 21:45

    Tagelang Hitzewelle. Nach der Infusion am Mittag nur geschlafen, bis Sturm mich weckt, Gewitter. Mit Pfefferminz aus eigenem Anbau lange nackt im kalten Regen auf der Terrase, die Blitze aus der Richtung Plötzensee.

    Erinnerung an meinen Urgroßvater, von dem ich nichts mehr weiß , bis auf das, was man mir erzählte. Daß er mir angeblich ähnlich war und auch bei Gewitter aus dem Fenster starrte und den eigenen Pfefferminz trank.

    Das Pfefferminzgebüsch in seinem Garten habe ich als Kind noch gesehen. Ich war sechs. Eine Familie aus Preetzer Bauern und Messerschleifern.

    24.6. 2013 20:40

    Ich habe eine woher auch immer recht genaue Vorstellung von meiner verbleibenden Zeit, die sich von Zeit zu Zeit ändert.
    Gerade ist es dieses Jahr. Es kann aber auch zwei, drei oder fünf Jahren sein, das ist möglich, sage ich zu C., um sie zu belügen, als hätte ich noch Hoffnung. Zum ersten Mal gemerkt, daß auch C. sich eine Vorstellung macht.
    Ich denke, zwei Jahre, sagt sie, hoffe ich. Zwei Jahre, das wäre schön.

    27.6. 2013 17:02

    Seit Tagen extreme Sprachstörungen. Vielleicht noch Folge des Avastins, möglicherweise auch Panikstörung (Vermutung des Neurologen schon seit Monaten).

    Nun Selbstversuch mit Tavor, um die Panikhypothese zu verifizieren. Wirkung: null. Auch keine andere Wirkung. (Fürs Protokoll: Drittes Tavor seit der Klapse vor drei Jahren).

    Forum zerschossen, keinen Supermarkt gefunden, Spaziergang ohne Plan, rede mit mir allein ohne Worte. Vielleicht, daß ich ein Gegenüber bräuchte. Nummer von Friederike und Rudi gefunden. Ewig lange nicht gesehen. Ich überlege, mich für mein voraussichtliches komplettes Sprachversagen vorab zu

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