Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Arbeit und Struktur - Der Blog

Arbeit und Struktur - Der Blog

Titel: Arbeit und Struktur - Der Blog Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang Herrndorf
Vom Netzwerk:
die einzige wirklich autobiographische Stelle. Warum ist der Anblick des Sternenhimmels so beruhigend? Und ich brauche nicht einmal den Anblick. Vorstellung und Beschreibung reichen. Als ich noch auf der Kunstakademie war, war das immer mein Einwand gegen die Abstraktion: Der Himmel. Leider war ich mit dieser Meinung ganz allein.

    Gibt es in der Wissenschaft eigentlich Denkmodelle, die versuchen, die ungreifbare, nur an Sekundärphänomenen wie Veränderung und Bewegung meßbare und anstößige Größe der Zeit aus der Physik herauszurechnen?

    12.5. 2010 23:49

    Mit Lars und Marek in Sin Nombre. Toller Film, aber die Gewaltszenen erfreuen mich nicht. Das Sozialleben auch etwas schwierig, viele Dinge interessieren mich gerade nicht richtig. Bin in Gedanken immer bei der Arbeit. Zur Zeit wieder fast ein Kapitel pro Tag.

    13.5. 2010 13:49

    Erstes Tavor seit der Psychiatrie. Mal testen, was das macht.

    13.5. 2010 14:01

    Die Beruhigung setzt so schnell ein, daß man davon ausgehen muß, daß es nicht die Tablette ist, sondern die sofort nach Tabletteneinwurf konzentriert wiederaufgenommene Arbeit. Merken.

    14.5. 2010 18:30

    Nach langer Zeit wieder Fußball in der Bergstraße. Wie schon beim letzten Mal kämpfe ich mit der Nostalgie. Der Tartanplatz zwischen den Häusern, die Schwarzpappeln, der Himmel, die vielen Jahre, die ich hier jeden Sommer gespielt habe. Zwei- oder dreimal, erinnere ich mich, war ich nachts auf dem Platz, allein, wenn ich besoffen und mit einer Bierflasche in der Hand aus der Stadt kam. Ich bin über den Zaun geklettert und habe mich in die Mitte des Feldes auf den Rücken gelegt und die Sterne angeguckt, und auch, wenn ich nicht mehr sagen kann, worüber ich seinerzeit nachgedacht habe, es wird so etwas Ähnliches gewesen sein wie heute.

    Den Ball treffen und Pässe schlagen und all das funktioniert, aber im Gewühl und wenn sich die Spielsituation schnell ändert, macht sich der Sichtfeldausfall als Orientierungsverlust bemerkbar. Nach einer Viertelstunde stellt sich Schwummrigkeit ein, aber nachdem ich mich entschlossen habe, einfach mehr statt weniger zu laufen, komme ich über den toten Punkt, und es macht wieder Spaß. C. holt mich ab, und im Bett versuche ich, ihr zu erklären, was ich in den letzten Wochen herausgefunden habe: daß dieses Universum nicht existiert. Oder nur in diesem Bruchteil dieser Sekunde.

    16.5. 2010 4:00

    Ist das anhaltende Druckgefühl an den Ohren hypochondrisch, Nebenwirkung meines mit Ohropax geführten Kampfes gegen den Lärm meiner Nachbarn oder schon das andere? Nachts um vier tobt die Party im zweiten Stock, und ich übertöne den Lärm, indem ich das Radio leise laufen lasse, Jazz auf Radio Eins. Ich döse mit meiner Wärmflasche unter der Decke und bin vollkommen ruhig und gelassen und gleichgültig. Ich könnte jetzt gehen, wenn ich wollte, es ist mir egal. Das Buch, an dem ich seit Ende März jeden Tag von morgens bis abends wie ein Irrer gearbeitet habe, ist mir egal, es ist der Welt egal, alles egal. Irgendwann schlafe ich ein, und ich schlafe sehr gut.

    16.5. 2010 13:38

    Lektüre: Jane Eyre. Als Helen Burns stirbt, beschreibt Jane die Welt als einen Abgrund mit nur einem einzigen Halt: der Gegenwart. Meine Worte zu C. vorgestern. Tolles Buch.

    Als ich etwa 18 war, las ich mich durch die Deutsche Romantik auf der Suche nach – ja – dem großen Gefühl, in der Hoffnung, etwas Vergleichbares zu finden wie in der Malerei. Tatsächlich eine einzige Enttäuschung. Der Taugenichts entsprach am ehesten noch den Erwartungen, aber es fehlte das Düstere, Schauerliche. Mörike und Hoffmann langweilten mich milde, im Ofterdingen gab es irgend etwas, was mich ansprach, das Überspannte, Verblasene, wenn ich das richtig erinnere, aber ich las das Buch auch in einer Zeit schwerer Verstörung und als Reiselektüre auf der Fahrt nach München und Nürnberg. Dort stellte ich mich mit meiner Mappe an den Kunsthochschulen vor, völlig naiv. Ich wußte nicht mal, daß man sich einen bestimmten Professor suchen mußte, ich dachte, Qualität hätte allgemeinen Vorstellungen zu genügen. In München landete ich bei einem Abstrakten. Der Mann war nett und behandelte mich höflich, aber die ganze Situation war absurd. Abends fuhr ich mit dem Zug nach Nürnberg, wo ich keine Schlafgelegenheit hatte. Erst rüttelte der Kellner in einem Nachtcafé mich wach, wo ich über Novalis einzuschlafen drohte, dann übernachtete ich auf dem Bahnhofsklo, während zwei Penner

Weitere Kostenlose Bücher