Arbeit und Struktur - Der Blog
brauche genau die alten Benutzeroberflächen, und ich brauche sie sofort.
Abends Spaziergang mit C. Wir setzen uns an die Beachvolleyballfelder am Nordbahnhof und schauen dem warmen Sommerabend von einem Strandkorb aus zu. Ich fühle mich wie schon in den letzten Tagen oft, als hätte ich überhaupt nichts, so unbeschwert wie viele Sommer zuvor. Aber mit der Unruhe ist auch der Antrieb zum Arbeiten verschwunden.
Immerhin habe ich Korrekturen des Lektors jetzt im Haus. Die muß ich bis zum Wochenende durchgesehen haben. Marcus streicht einen korrekten Konjunktiv raus und ersetzt ihn durch den falschen: Daß ich das noch erleben darf. Hat auch sonst ein gutes Gehör für den Ton und ergänzt Sätze. Merkwürdig das gleiche Problem, das ich auch mit Passig immer habe, der Unterschied zwischen norddeutschem und süddeutschem Sprachklang: Füllwörter und Satzstellung.
Elinor hat das Manuskript gelesen und ist enttäuscht. Ihr gefällt die Handlung nicht, die unglaubwürdige Action, sie hätte lieber wieder den vor sich hin reflektierenden Erzähler der Plüschgewitter. Abends kommen mir so starke Zweifel an dem Buch, daß ich mich frage, ob das Geld von Rowohlt auf regulärem Wege zustande gekommen ist oder Helfer ihre Finger im Spiel gehabt haben. Ich frage mich das ernsthaft.
1.7. 2010 20:30
Treffen mit Per und Jochen, Marokko-Fotos anschauen. Jochen hat einen wunderschönen Ausblick über Berlin und jammert die ganze Zeit, wieviel schöner es in einer früheren Wohnung gewesen sei und wieviel schöner dort, bevor jemand renovierte usw. usf. Meine Schmerzgrenze für so was ist noch mal deutlich gesunken.
Per schickt mir auf Wunsch eine Mail, in der er seinerzeit meinen Wahnanfall beschrieb. Es deckt sich etwa mit meiner Erinnerung.
3.7. 2010 23:00
Meine vermutlich letzte Steuererklärung gemacht. Die Festplatte aus dem alten Computer ausgebaut und zerstört. Nachmittags das unfaßbare 4:0 gegen Argentinien in der Volksbar gesehen, danach in Lobos Wohnung gegangen, um an meinen Korrekturen zu arbeiten.
Überwältigender Sommerabend.
4.7. 2010 19:00
Morgens Fahrrad repariert, nachmittags ist es schon wieder platt. Ausgerechnet jetzt gibt auch noch das Handy seinen Geist auf. Schaffe es mit der U-Bahn gerade noch pünktlich zu Marcus. Wir gehen das Manuskript durch. Er ist unglaublich schnell und ich unglaublich begriffsstutzig.
5.7. 2010 2:38
Gewitter und Wolkenbruch. Alle Fenster auf. Könnte nicht bitte für den Rest meines Lebens Gewitter und Wolkenbruch sein?
Früher hatte ich mir immer vorgestellt, daß die Nächte das Schlimmste am Sterben sind. Die Nächte, das einsame Liegen im Bett und das Dunkel. Aber die Nächte sind schön und leicht zu ertragen. Jeder Morgen ist die Hölle.
10.7. 2010 1:55
Lukas hat mir ein Prassnik im Maßstab 1:87 gebaut. Jetzt steht es neben meinem Bett und leuchtet in der Nacht. Es ist ein wenig gespenstisch. Sechs Personen sitzen entspannt um den Tisch auf der Empore, keiner hat ein Bier.
11.7. 2010 23:00
WM-Finale Spanien-Holland bei Holm. Alle sind für Holland. Auf dem Balkon doziert der bizarre Joachim Bessing. Hinten in einem der Zimmer liegt allein irgendwo Julias Kind. So winzig, so unwissend, so hilflos, daß ich sofort raus muß vor die Tür, ich ertrage das nicht.
14.7. 2010 15:14
Hitzewelle, Schlaffheit. Manuskript ist abgegeben, Cover und Klappe fast fertig. Heute morgen bei amazon auf 35.000. Seit Tagen versuche ich, in den Krimi reinzukommen, gelingt nur teilweise. Ungleich schwerer als beim Jugendroman, wo ich den Erzähler einfach reden lassen konnte. Hier verliere ich immer wieder völlig den Überblick, starke Konzentrationsstörungen, ändere die Datei nach stundenlanger Arbeit zurück auf Anfang.
19.7. 2010 11:33
Miopental heißt das Medikament in meinem Traum. Eine große Spritze, gefüllt mit orangegelbem Brei. Jetzt, wo ich weiß, wie ich sterben werde, habe ich über viele Stunden und Tage an der neuen Vorstellung gearbeitet, um die alte Vorstellung mit der Waffe zu verdrängen. Ich habe mir nachts imaginäre Spritzen in den Arm gedrückt und imaginäre letzte Gespräche geführt mit zwiespältigem Erfolg: Heute und gestern morgen bin ich nicht in der Hölle aufgewacht, sondern in meinem Bett. Zum ersten Mal seit Februar. Ich bin aufgewacht, war müde, wußte, was Sache war, und wollte weiterschlafen. Und konnte es auch. Aber jetzt Antriebslosigkeit. Ich muß den Krimi nicht mehr schreiben. Ich muß gar nichts mehr
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